Aus dem Leben eines (englischen) Grashalms oder: Die Rückkehr des Rasenmäher-Manns
Das Frühjahr hat wahrhaftig seine schönen Seiten. Diese Binsenweisheit können Sie derzeit fast jedem Medium entnehmen. Schlagen Sie doch z.B. einfach die (mangels Konkurrenz) jeweilige Krönung des Journalismus ihrer Region auf – oder besser noch eines der kostenlosen Wochenblatt-Derivate; sofern zwischen den unzähligen Rechtschreibfehlern noch zu identifizieren, werden Sie darin mit Sicherheit ein Frühlingslob nach dem anderen vorfinden. Endlich zeigt man ihnen dann, wie man aus dem Verhau, den diese elende Natur im Laufe des Winters wieder einmal angerichtet hat, ein Muster menschlichen Gestaltungsgeistes zaubern kann. Dabei stets im Fokus – quasi als Frage aller Fragen: Wie perfektioniere ich meinen Rasen? Und wie froh bin ich dann immer, kein Grashalm zu sein – zumindest nicht bei meinem Nachbarn – ich würde mich wohl nach kurzer Zeit auf den Mittelstreifen der A3 versetzen lassen.
Da ist zunächst mal schon das Haus, welches ich tagtäglich anstarren muss. Es steht an der Stelle, wo sich früher mal das Bauernhaus der Rasenbesitzer-Eltern befand. Ein Traum – Blockbauweise, Sprossenfenster, schindelgedecktes Satteldach … aber natürlich nicht mehr standesgemäß für die neureiche Nachkommens-Bagage. Also hat man es einfach so lange verfallen lassen, bis man es endlich abreißen und das langersehnte Jodlerhaus hinstellen konnte. Dampfnudelputz, gedrechselte Säulen, Erker, ein Wintergarten-Krebsgeschwür und eine pfundige Doppelgarage. Der alte Bauerngarten, die Obstbäume? Ja pfiadegod – nur Unkraut und Arbeit. Bio bekommt man schließlich auch beim Erlebniseinkaufscenter. Und was die auf dem Golfplatz hinbekriegen, schaffen wir erst recht.
Was das für mich als Grashalm bedeutete, wollen Sie wissen? Zum einen wäre mir andauernd kotzübel – und das nicht nur vom Anblick dieses widerlichen Hansi-Hinterseer-Wohnkobels, sondern auch von dem ganzen Gift, das dieser Vollpfosten ständig über mir auskippte. Und dann die Einsamkeit. Kein Löwenzähnchen, kein Gänseblümchen, kein Maulwürfchen, das mir freundlich Guten Tag sagt – nicht einmal eine Wühlmaus traut sich noch in dieses Laubsauger-Gorleben. Ganz zu schweigen von Blindschleichen, Eidechsen oder sonstigem Kriechgetier, das hier ebenfalls nur die Wahl hat zwischen Zerhäckseln oder Vergiften – passiv, versteht sich. Gut, das mit der Versetzung auf die A3 war ein Hilfeschrei, doch gottlob bin ich kein Grashalm – und wäre ich einer, reichte bereits eine Verpflanzung um 10 Meter in meinen eigenen Garten vollkommen aus. Da würde mir nicht alle drei Tage der Kopf rasiert, ich könnte mich des Morgens am frischen Tau erquicken und mit meinen tierischen Freunden Zwiesprache halten, wenn sie aus dem alten Geäst und Gestrüpp gekrochen kommen, aus dem mein Besitzer für sie eine kleine Hecke gebaut hat. Die Birnen-, Kirsch- und Apfelbäume, von denen herab die Vögel ihre Liedchen trällern, spendeten Schatten, Bienchen und Schmetterlinge surrten und flatterten um mich herum und ich könnte meinen Besitzern im Sommer beim Kaffeplausch zuhören – im Gegensatz zum Rasenfetischisten gegenüber. Sein Grünteppich darf nämlich außer zum Mähen nicht betreten werden. Seinen fetten Kindern macht dies aber längst nichts mehr aus – sie haben sich schließlich mittels diverser Konsolen andere Spielwelten erschlossen, in denen sie außer ihren Wurstfingern nichts mehr bewegen müssen.
Eigentlich müssten einem diese Leute ja leidtun, denn sie haben sich schließlich in einem fürchterlichen Widerspruch verwickelt, der jedoch so alt ist wie die Menschheitsgeschichte – und den man am besten mit zwei Sprichwörtern umfassen kann: So sagte einst der amerikanische Industrielle Charles F. Kettering: „Die größte Gefahr für die Menschheit liegt in der ständig steigenden Perfektion bei gleichbleibender menschlicher Unzulänglichkeit.“ Und das fängt bereits im Garten an. Dabei könnte man so unbeschwert leben, wenn man sich der Überlegenheit der Natur und deren Schönheit und Fülle, mit der sie uns in vielerlei Hinsicht beschenkt, in ehrfürchtigem Staunen hingäbe – abgesehen davon, dass man sich einen riesen Haufen Arbeit ersparte. Aber da kommt so manchem wohl die Wahrheit des anderen Spruches in die Quere, der von Walther Rathenau stammt: „Je vollkommener etwas ist, desto schwerer ist es uns, es zu lieben.“
In diesem Sinne, ein schönes Frühjahr – am besten voller Maulwurfshügel.