QUEER*WELTEN 13-2024

Inhalt:

Disclaimer zu KI-Illustrationen

Auf Wunsch des Verlags und auch einiger Autor*innen wird bei den Micro-Rezensionen auf die Darstellung von genAI-Illustrationen verzichtet.


genAI-Plattformen wahren die Rechte der Künstler*innen, deren Werke für das Trainieren der KI verwendet wurden nur ungenügend oder gar nicht oder/und die Künstler*innen partizipieren nicht an den Erlösen.

Wer sich über die Problematik von genAI-Illustrationen informieren möchte, der/dem sei der Artikel von Lena Richter auf Tor-Online empfohlen

Zur Ausgabe 13/2024:

In der 13. Ausgabe des queer*welten-Magazins vom Amrûn Verlag sammelten die drei Herausgeberinnen Judith Vogt, Lena Richter und Heike Knopp-Sullivan Schattengeschichten… in all ihren Grautönen.

Kurzeindrücke der einzelnen Texte:

Was soll es bedeuten?
von Mara Schmiedinghoff

Schattengeschichte:

Schon Heinrich Heine rätselte und hatte es offensichtlich nicht kapiert. Manche Wesen tun Dinge, die die Mehrheit nicht versteht, und das, aus purem Vergnügen und Selbstzweck. Dahinter etwas Mystisches oder Verführerisches zu vermuten ist genauso unangebracht, wie die Reduktion des Wesens auf die äußerlichen (weiblichen) Reize. Besonders perfide wird es natürlich (auch bei Heine), wenn dem Wesen schlussendlich sogar die Schuld für das Verderben gegeben wird, in das sich das, von Gemein- und Torheiten fehlgeleitete (männliche) tumbe Volk, hineinmanövriert. Nicht die den Menschen fremde Wesin und ihr völlig natürliches Verhalten tragen die Schuld, sondern die Menschen mit ihrer Ignoranz, Dummheit und (Neu-)Gier. Aber davon will man natürlich nichts mehr wissen, wenn die tumben Tore mit dem Gesicht nach unten im Fluss schwimmen.
Eine charmante Mahnung, wie fatal es sein kann, Unbekanntes misszuinterpretieren.

Wohnungsgespenst
von Leo Nora Grabner

Schattengeschichte:

Was man oft vergisst: Geister, die an Häuser gebunden sind, sind beizeiten lange Zeit sehr einsam. Insbesondere dann, wenn sich das Haus durch sein Spuk-Image nur schlecht vermieten oder verkaufen lässt. Und wenn dann eine Geistin eher introvertiert ist und keine Zeichen von aggressivem Spukverhalten zeigt, kann es schon mal vorkommen, dass sie sogar Angst hat, sich der neuen Bewohnerin zu zeigen.
Leo Nora Grabner erlaubt uns einen kurzen, aber nicht weniger intensiven Blick in die (ver-)zweifelnden Gedanken einer sehr sensiblen Geistin.

Rhizom Reloaded
von Martina John

Kurzgeschichte:

Ein vermeintlich simpler Coup, der zwei unterschiedliche Frauen in kürzester Zeit zu sehr wohlhabenden Frauen zu machen verspricht. Aber wie das eben so ist, ein hoher potentieller Gewinn birgt ein hohes Risiko.
Das gilt auch in einer Solarpunk-Metropole, in der die Schere zwischen Arm und Reich alles andere als klein ausfällt und sich nur die Betuchten den Luxus von Sonnenlicht leisten können. Doch nicht nur die Energiefrage wird in dieser von Robotern und transhumanen Erweiterungen geprägten Zukunft fortentwickelt… auch die Technologie, das menschliche neuronale Netzwerk mit allen Lebewesen über ein omnipräsentes Mycel zu verbinden, ist “Realität” und birgt für entsprechend trainierte Talente Möglichkeiten, die in unserer Gegenwart (bisher) undenkbar sind.

Ich muss gestehen, dass ich den Fehler beging, mich zu unaufmerksam in die Kurzgeschichte von Martina John zu stürzen und erst als ich nach den letzten Zeilen ein “Mhm?” auf den Lippen hatte, stutzte ich und es wurde mir klar, dass ich wohl etwas übersehen hatte.
Deshalb musste ich dann auch gleich dem Ende der Kurzgeschichte den Anfang noch einmal lesen, weil ich offenbar zu unkonzentriert begonnen hatte … und begriff erst dann, was es mit der loop gun und dem “repeated” auf sich hatte. Sehr, sehr cleverer Zug.

Verdammt!
von Rebecca Reiter

Schattengeschichte:

Sich zu spät des Nachts auf den Nachhauseweg zu machen, kann unangenehm enden. Das müsste eigentlich bekannt sein. Und “Sicherheit” wird zu einem relativen Zustand, je nachdem, wen man fragt.

Allerdings lässt mich die Schattengeschichte von Rebecca Reiter etwas ratlos zurück. Wer genau hier nun in Gefahr ist und ob es überhaupt eine klassische Täter-Opfer-Situation gibt, erschließt sich mir nicht so wirklich. Ich habe die Schattengeschichte wieder und wieder gelesen … und verstehe das Ende nicht.

Ich benötige hierbei wirklich etwas Schattennachhilfe 😉

Walpurgnisnacht
von Stefanie Klawitter

Schattengeschichte:

Womöglich müssen wir unser Urteil über das, was ein Monster ausmacht, neu überdenken. Allein quantitativ machen die von uns als Monster abgestempelte und tradierte Wesen im Vergleich zu den Menschen nur einen geringen Bruchteil aus.
Und vergleicht man die Gelegenheiten, zu denen diese vermeintlichen Monster in Erscheinung treten mit denen, in denen sich Menschen monströs verhalten, kommt man beim Gedicht von Stefanie Klawitter schon mal ins Grübeln, ob die dort ums Feuer Tanzenden nicht eher unseres Schutzes bedürfen.

“Doch steht erst der Mond am Himmel /
“geh’n die echten Monster schlafen”

Die verschwundene Frau
von Elisa Saph

Kurzgeschichte:

Eine charmant-zärtliche Geschichte über drei sehr unterschiedliche Frauen, die über interdimensionale, familiäre und emotionale Bande miteinander verbunden sind und über das weitere verbreitete Schicksal, unsichtbar zu sein.
Zudem bietet Elisa Saph eine sehr interessant hergeleitete Deutung an, wie Geister entstehen und wie sie “erlöst” werden können.
Eine sehr schöne Kurzgeschichte mit einem ebenso schönen Ende … wie alt der Geist tatsächlich gewesen ist, hätte mich dann doch interessiert. Eine Geschichte voller Vertrauen, Liebe und den Einfluss derselben.

Aus dem Leben eines Aufhockers
von Chris Balz

Schattengeschichte:

Das Dasein eines Aufhockers/einer Aufhockerin ist überschaubar komplex … und für manche ist das gut so. Wer will sich schon der zerstörerischen und gefährlichen Welt außerhalb der Friedhofsmauern aussetzen, wenn er/sie es nicht muss. Kurze, aber nachdenklich stimmende Anekdote von Chris Balz.
Wer hätte gedacht, dass ich mal eine*n Aufhocker*in beneiden würde?

Sanguinisan Granulat
von Sarah Jacob

Schattengeschichte:

Völlig logisch, dass Vampire physische oder psychische Symptome mit Medikamenten behandeln oder medikamentös eingestellt werden müssen.
Gehört man zur Fraktion der besonders woken Vampire, besteht durchaus der Wunsch eher vampirtypische Bedürfnisse unterdrücken zu wollen, wofür es laut Sarah Jacob durchaus einen pharmazeutischen Markt gibt.

Morbides Wien
von C.N. Stance

Kurzgeschichte:

Merke: Man sollte sich immer ganz genau überlegen, was man sich wünscht! Wenn sich z.B. zwei Frauen ein bisschen auf dem Prater in Wien gruseln möchten, sollten sie für alles bereit sein … insbesondere dann, wenn die Geisterbahn verdächtig lange abwärts geht …

Sehr spannende Kurzgeschichte bei der einerseits die allzu poröse Membran zwischen unserer und der “anderen” Welt einem harmlosen Abend zweier Verliebten eine ziemlich schnelle Wendung gibt, C.N. Stance der/dem Lesenden noch eine “Moral zu der G’schicht” mitliefert, dass es nicht immer hilfreich ist, allzu schnell Vorurteilen nachzugeben.

Geisterstunde
von Charline Winter

Schattengeschichte:

Geister interessieren sich nicht zwangsläufig immer dafür, den Lebenden das Gruseln zu lehren oder diverse unerledigte Dinge nachzuholen … manchmal kümmern sie sich ganz unaufgeregt um ihre Angelegenheiten und Bedürfnisse, ohne von etwaigen lebenden Zeug*innen Notiz zu nehmen. Natürlich stilecht zur Geisterstunde und bei Vollmond.

Ein nächtlicher Kurzausflug in die Geisterwelt von Charline Winter, bei dem es letzten Endes überraschend menschelt.

Nocturnal
von Sammy Heet

Schattengeschichte:

Dass Alpträume nicht ausschließlich schlecht sind, sogar eine Funktion für unsere innere Entwicklung ausüben können, ist nicht die einzige Überraschung in dieser kompakten Schattengeschichte.
Sammy Heet thematisiert eine völlig neuartige Perspektive, indem er den uns allen bekannten Vorgang des immer wiederkehrenden Alptraums entzaubert und wir von den Gedanken desjenigen Wesens erfahren, das mit uns gemeinsam den nächtlichen Horror als ganz normalen Job durchlebt. Irgendwie ein tröstlicher Gedanke, der das schweißnasse nächtliche Aufschrecken etwas weniger bedrohlich erscheinen lässt.

Hundert Lichtjahre Einsamkeit
von Marie Meier

Kurzgeschichte:

Nicht jeder Mensch ist dafür gemacht, in Gesellschaft anderer zu leben. Die Gründe für den Wunsch nach Isolation können vielfältig sein. Auch die angestrebte Dauer des Alleinseins kann stark variieren. Manchmal benötigt man Abstand bei Trauer oder Überlastung, manchmal ist es eine Sache der Konzentration oder der Kreativität, manchmal ist es alles zusammen und manchmal gibt es überhaupt keinen erkennbaren Grund. Alleinsein zu wollen ist nicht zwangsläufig etwas, das behoben werden muss. Es ist kein Mangel, der repariert werden muss. Gerade Menschen, die es gewohnt sind, immer in unmittelbarer Nähe anderer zu leben, neigen dazu, es als Defizit zu betrachten, wenn man alleine ist. Meistens liegt es daran, dass fälschlicherweise Alleinsein mit Einsamkeit gleichgesetzt wird. Jede*r, der das Alleinsein sucht, benötigt individuell unterschiedlich lange, um wieder einen anderen Menschen in ihrer/seiner Nähe zu akzeptieren … und manchmal endet dies nie.
Jeder kennt den Wunsch, alleine sein zu wollen. Ob es das Zurückziehen ins Kinderzimmer, ins selbstgebaute Baumhaus im Garten, in die ruhigste Ecke in der Bibliothek oder auf den Gipfel eines Berges ist, spielt keine Rolle. Es gibt Zeiten, da benötigen wir Zeit, unsere Gedanken und Gefühle zu ordnen.
Marie Meier hat für ihre Protagonistin allerdings den denkbar alleinseinigsten Ort gefunden: Ein trostloser Mond, hundert Lichtjahre entfernt im Angesicht einer Sonne, die sich zum Ende ihrer Existenz im Begriff ist, sich zu einem Roten Riesen aufzublähen. Jahrelang mit sich zufrieden, überdauert Helena zahlreiche Kolleginnen, die mit dieser ausgesprochen ausgeprägten Isolation nicht zurechtkamen … bis die sich an einem Wendepunkt ihres Daseins befindliche KI Emma bei ihr einzieht.
Eine grandiose Kurzgeschichte, die die elementaren Bedürfnisse nach Liebe, Selbstliebe und Miteinander auf die Probe stellt.

Symbionten
von Nora Bendzko

Schattengeschichte:

Der Lebenszweck eines Parasiten erklärt sich aus seiner Definition. Was aber, wenn er eine Wirtin findet, die ihm zum ersten Mal in seinem Dasein eine Heimat bietet, die er nicht zu opfern bereit ist?
Von Nora Bendzko perfekt kreierte Schattengeschichte, die zugleich kosmisch düster als auch menschlich zärtlich, von tödlicher Vernichtung als auch liebevoller Selbstlosigkeit handelt.

Fidebum
von Jeannie Marshall

Schattengeschichte:

Wenn wir Menschen nicht aus eigenem Antrieb zur Vernunft kommen, müssen die schon seit langer Zeit vergessenen Mächte der Natur aus ihrem Schlaf erwachen.
Jeannie Marshall erzählt in ihrer langsam immer wütender werdenden Schattengeschichte eindrücklich und schön düster von einem Kipppunkt der Natur, der sich nicht „nur“ auf wärmere Temperaturen und katastrophale Unwetter beschränkt, sondern die Ursprünge unserer vielleicht gar nicht so fiktionalen Mythen wieder zum Leben erweckt und sich das zurückholen wird, was einst ihnen gehörte.

Maja, 28, w, Werwölfin
von Carolin Lüders

Kurzgeschichte:

Das Leben als Werwölfin in einer Stadt ist komplizierter, als man meinen könnte. Zwar lassen sich die werwolfspezifischen “Eskapaden” durchaus planen und kontrollieren, aber was ist mit den alltäglichen Sorgen, die sie erdulden muss, weil sie nicht zum Durchschnitt passt?

Carolin Lüders erzählt eine überaus charmante und nur ein bisschen werwolfeske Geschichte über eine sehr einsame junge Werwölfin, die nach einem ungeplanten Outing Anerkennung, Hoffnung und Perspektive findet.

Ein Huhn für die Drude
von Jassi Etter

Schattengeschichte:

Unter Depressionen zu leiden, ist schon schwer genug. Aber nicht zu wissen, wie man dagegen vorgehen kann, ist noch ne Spur übler.
Jassi Etter imaginiert in they Kurzgeschichte, wie man mit dem schier unerträglichen Druck auf der Brust umgehen könnte, würde dahinter ein Wesen aus der Sagenwelt stecken (metaphorisch?).
Eine Mut machende Schattengeschichte, etwas gegen Depressionen bzw. gegen mögliche Ursachen zu tun und sich zu schützen versuchen.

Feensommer
von Sonja Lemke

Schattengeschichte:

Was wäre, wenn der im Volksglaube des Öfteren vorkommende Kinderraub durch Feen (oder Zwerge, Elfen, Druden) gar keiner böswilligen Absicht folgen würde? Was wäre, wenn es eine Rettungsaktion vor queerfeindlichen Gemeinschaften wäre?
Sonja Lemke kreiert in ihrer Schattengeschichte eine utopische Anderswelt, in der ungewollte Kinder eine Heimat finden.

Der Regenbogen führt ins Feenreich: Eine intersektionale Rückeroberung der “Anders”-Welt?
von S. F. Srebalus

Essay:

“Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind”*

C.F. Srebalus nimmt uns mit auf einen wilden Ritt durch die Feen-/Elfengeschichte und die zahlreichen Ausprägungen im Laufe der Epochen und entlang der Kulturen. Sie erläutert unterschiedliche Motive hinter der Existenz von Feen und ihren Geschwistern und nennt zahlreiche Beispiele. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf die Verbindung von Feen auf der einen und queere, neurodivergente und Menschen miteinander Behinderung auf der anderen Seite.

Trotz der Kürze des Texts, bietet C.F. Srebalus einen umfangreichen und komprimierten Abriss mit zahlreichen Quellen, der sehr informativ ist und Lust auf weitere Recherchen macht.

“Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.”*

(* J.W. v. Goethe: Erlkönig)

Argeiphontes
von Alex

Schattengeschichte:

Der Traumbringer, Riesentöter und guter Hirte … Alex präsentiert ein Textkunstwerk, das nach Interpretation lechzt. Ohne weiteren Kontext kann ich mich tatsächlich nicht entscheiden, welchem Pfad ich folgen soll, um hinter das Geheimnis zu kommen…