QUEER*WELTEN 10-2023
von noosphaere · Veröffentlicht · Aktualisiert
Hrsg. von Judith Vogt, Lena Richter und Heike Knopp-Sullivan im Amrûn Verlag
Inhalt:
- Vorwort
- No Filter (Kurzgeschichte) von Melanie Vogltanz
- Brunnenlied (Kurzgeschichte) von Eleanor Bardilac
- Der Seelenpartnertest (Kurzgeschichte) von Simon Klemp
- Zwischentöne (Gedicht) von Eva-Maria Obermann
- Unterschied (Kurzgeschichte) von Jol Rosenberg
- Sarah (Kurzgeschichte) von Clara Maj Dahlke
- Auf Nimmerwiedersehen, Mittelerde – Über queere Unterkünfte, tote “Südländer” und die Macht des Unsichtbaren (Essay) von T.B. Persson
- Ein Queer*Welten-Werkstattbericht (Werkstattbericht) von Lena Richter, Judith Vogt, Heike Knopp-Sullivan
- Der Queertalsbericht 01+02/2023
Kommentar zum Band:
Ein tolles Jubiläum wird mit dem Band 10/2023 von Queer*Welten gefeiert: Die 10. Ausgabe.
Zur Ausgabe 10/2023:
Zudem verweist der Band auf eine Lesung der besonderen Art. Am 6. Juni 2023 lasen Anna Zabini, Melanie Vogltanz, Nora Bendzko und Eleanor Bardilac im Weltmuseum Wien aus ihren Geschichten vor. Im Rahmen der dortigen Ausstellung “Science Fiction(s)” wurden queer*welten und sie gebeten, eine Lesung anzubieten, die zudem auf “Vienna Pride” (1.-18. Juni) fiel. Noch dazu fiel die Lesung genau in die Zeit, in der ich zufällig in Wien war … eine glückliche Koinzidenz 🙂





Kurzeindrücke der einzelnen Texte:
No Filter
von Melanie Vogltanz

Was geschieht mit uns, wenn wir vollständig vor negativen Eindrücken geschützt werden? Stellen wir uns vor, dass wir statt über content notes auf potentiell schmerzhafte oder verstörende Inhalte in Medien hingewiesen zu werden, wir automatisch und gänzlich davor bewahrt werden? Macht uns das wirklich besser? Sind wir dadurch vor schädlichen Einflüssen wirklich geschützt oder verhindern wir dadurch lediglich den Aufbau von Schutzmaßnahmen gegenüber einer ständig potentiell bedrohlichen Welt?
Melanie Vogltanz wendet sich diesen und anderen Fragen in Ihrer Kurzgeschichte “No Filter” zu, in der es keine Filme mit Inhalten mehr gibt, die Gewalt oder destruktive Elemente enthalten und verpackt es in den zarten Beginn einer neuen Beziehung.
Brunnenlied
von Eleanor Bardilac

Eine kunstvolle Verschränkung mittelhochdeutscher Artusepik und Science Fiction, die im Modus einer schmerzhaften Traumwelt voller Verlust und dem verzweifelten Versuch, Wiedergutmachung zu leisten, geschrieben ist. Wer eine Nacherzählung von Hartmanns von Aue Iwein als Kurzgeschichte erwartet, findet die erschöpfte Innenansicht eines schuldbeladenen mittelalterlichen Ritters in einer Zukunftsrealtität, wo Wildnis und Zivilisation nicht mehr denselben Stellenwert haben wie während des Hochmittelalters oder im 21. Jahrhundert.
Der Seelenpartnertest
von Simon Klemp

Es führt zu nichts Gutem, wenn sich Pärchen oder Einzelne einer Partnerschaft zu sehr darauf fokussieren, ob man zueinander passt bzw. was man am/an der Anderen nicht mag. Diese Kurzgeschichte lässt es eskalieren, indem durch einen fragwürdigen Test Dritter, Beziehungen zwischen Menschen auf die Probe gestellt werden, die bereits zusammengehören oder sich füreinander interessieren. Liebe kann nicht erzwungen oder berechnet werden, gleichgültig, was uns Wissenschaft oder Konzerne weismachen wollen.
Zwischentöne (Gedicht)
von Eva-Maria Obermann

Ein Gedicht übers Angekommensein nach schmerzhaften Zeiten, aber zugleich über das Bedürfnis, verborgen sein zu können … sich in die Sicherheit zurückziehen zu dürfen.
Unterschied
von Jol Rosenberg

Das ewige und entsetzliche “Spiel des Krieges”, in dem es immer auch weniger Sieger als Opfer gibt. Opfer auf beiden Seiten und sich als Sieger fühlend meist nur in der kurzen post-kriegerischen Euphorie, das “Spiel” nicht verloren zu haben. Am Ende ist jede/r Opfer oder hat dergleichen gebracht. Wenn ganze Völker oder Generationen im Krieg aufwachsen, scheint ein Weg in die Normalität nur über die Hilfe von außen möglich zu sein, denn oft fehlt Hoffnung oder Phantasie … oder beides … dass es je ander sein könnte.
Sarah
von Clara Maj Dahlke

Eine gestrandete Überlebende in einer post-apokalyptischen Wüste hat sich nach dem Verlust ihrer großen Liebe beinahe aufgegeben. Erst die Zuwendung und Fürsorge eines in dieser Szenerie so unwahrscheinlichen wie selbstverständlichen Wesens, gibt ihr wieder Hoffnung.
Sehr schöner als innerer Monolog im Tagebuch-Stil des Nicht-Menschens verfasster Solar Punk (ich glaub’ zumindest, dass die Geschichte zu diesem Genre gehört). Ruhig, beinahe traumwandlerlisch führt Dahlke uns an die Bewältigung von Verlust heran, die dann aber auch wieder zu neuem Verlust bei jemand anderem führt.
Auf Nimmerwiedersehen, Mittelerde – Über queere Unterkünfte, tote “Südländer” und die Macht des Unsichtbaren
von T.B. Persson






Sehr energische und kritische Analyse der rassistischen, sexistischen und diskriminierenden Strömungen und Tendenzen in J.R.R. Tolkiens Werk. Die Vehemenz, mit der Persson hier die destruktiven erzählerischen Elemente von Tolkien vorbringt, reizte und nervte mich beim Lesen so sehr, dass ich kurz davor war, abzubrechen. Da ich zu den unbelehrbaren Liebhabern von Tolkien und seinem Werk gehöre, schoss mir bei jeder wohl gut belegbaren Offenlegung seiner vorteilsbehafteten literarischen Charaktere und deren Verhalten ein abwehrender, sehr emotional gefärbter Kommentar durch den Kopf, der Tolkien verteidigt und ihn als Kind seiner Zeit von allem Fehlverhalten freispricht. Doch natürlich ist es so einfach nicht und auch die These, man überinterpretiere sein Werk und dürfe es nicht mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Maßstäben messen, greift zu kurz. Jede*r Autor*in ist ein Kind ihrer/seiner Zeit und trägt für die eigenen Worte die Verwantwortung.
Andererseits glaube ich, er würde der Argumentation von Persson und anderen Kritiker*innen folgen können, seine Schuld eingestehen und, würde er noch leben und weiter schreiben, Sprache, Wesen und Welten erschaffen, in der progressive Phantastik ihren Platz haben würde. Denn progressiv war Tolkien, meiner Meinung nach. Für die Phantastik und auch für die Wissenschaft in der er in seiner Epoche wirkte. Es spricht also nichts dagegen zu behaupten, dass er sich der Kritik stellen, sie annehmen und in etwas Neues umsetzen würde. Da dies leider nicht mehr möglich ist, liegt es an seinen Erb*innen, mit Hilfe von Worten an gesellschaftlichen Missständen zu arbeiten.
Ein Queer*Welten-Werkstattbericht
von Lena Richter, Judith Vogt und Heike Knopp-Sullivan