QUEER*WELTEN 10-2023

Inhalt:

Kommentar zum Band:

Ein tolles Jubiläum wird mit dem Band 10/2023 von Queer*Welten gefeiert: Die 10. Ausgabe.

 

Zur Ausgabe 10/2023:

Auch beim aktuellen queer*welten-Band vom Amrûn Verlag haben sich die drei Herausgeberinnen Judith Vogt, Lena Richter und Heike Knopp-Sullivan etwas Besonderes ausgedacht und im Vorfeld der 10. Ausgabe Leser*innen dazu aufgerufen, Postkarten aus queeren Welten einzureichen. Diese wurden alle abgedruckt und symbolisieren Grüße, Sehnsüchte und Eindrücke aus fremden und bekannten Welten, die es schon gibt, womöglich einmal geben wird oder auch ausschließlich der Phantasie/Phantastik vorbehalten bleiben.
 
Die diesmal ausgewählten Kurzgeschichten, Essays und ein Gedicht berühren, inspirieren und laden ein zum Nach- und Überdenken. Meine Eindrücke zu den einzelnen Werken folgen in Kürze.

Zudem verweist der Band auf eine Lesung der besonderen Art. Am 6. Juni 2023 lasen Anna Zabini, Melanie Vogltanz, Nora Bendzko und Eleanor Bardilac im Weltmuseum Wien aus ihren Geschichten vor. Im Rahmen der dortigen Ausstellung “Science Fiction(s)” wurden queer*welten und sie gebeten, eine Lesung anzubieten, die zudem auf “Vienna Pride” (1.-18. Juni) fiel. Noch dazu fiel die Lesung genau in die Zeit, in der ich zufällig in Wien war … eine glückliche Koinzidenz 🙂

Kurzeindrücke der einzelnen Texte:

No Filter
von Melanie Vogltanz

Midjourney Prompt: two young women sit alone in an old-fashioned cinema, behind them a film projector shines light on the screen in front of them, on the screen you can see a screen from "the fifth element", looking at their backs in the direction of the screen --v 5.1
Bild: Midjourney / R.H. Schneider

Was geschieht mit uns, wenn wir vollständig vor negativen Eindrücken geschützt werden? Stellen wir uns vor, dass wir statt über content notes auf potentiell schmerzhafte oder verstörende Inhalte in Medien hingewiesen zu werden, wir automatisch und gänzlich davor bewahrt werden? Macht uns das wirklich besser? Sind wir dadurch vor schädlichen Einflüssen wirklich geschützt oder verhindern wir dadurch lediglich den Aufbau von Schutzmaßnahmen gegenüber einer ständig potentiell bedrohlichen Welt?

Melanie Vogltanz wendet sich diesen und anderen Fragen in Ihrer Kurzgeschichte “No Filter” zu, in der es keine Filme mit Inhalten mehr gibt, die Gewalt oder destruktive Elemente enthalten und verpackt es in den zarten Beginn einer neuen Beziehung.

Brunnenlied
von Eleanor Bardilac

Midjourney Prompt: a young man lying on the ground in an enchanted forest, a lion lies beneath the man :: a white deer in the background --v 5.1
Bild: Midjourney / R.H. Schneider

Eine kunstvolle Verschränkung mittelhochdeutscher Artusepik und Science Fiction, die im Modus einer schmerzhaften Traumwelt voller Verlust und dem verzweifelten Versuch, Wiedergutmachung zu leisten, geschrieben ist. Wer eine Nacherzählung von Hartmanns von Aue Iwein als Kurzgeschichte erwartet, findet die erschöpfte Innenansicht eines schuldbeladenen mittelalterlichen Ritters in einer Zukunftsrealtität, wo Wildnis und Zivilisation nicht mehr denselben Stellenwert haben wie während des Hochmittelalters oder im 21. Jahrhundert.

Der Seelenpartnertest
von Simon Klemp

Midjourney Prompt: kitchen table. a white envelope with a red card sticking out of it is lying on the kitchen table. a lasagna dish is lying on the kitchen table --v 5.1
Bild: Midjourney / R.H. Schneider

Es führt zu nichts Gutem, wenn sich Pärchen oder Einzelne einer Partnerschaft zu sehr darauf fokussieren, ob man zueinander passt bzw. was man am/an der Anderen nicht mag. Diese Kurzgeschichte lässt es eskalieren, indem durch einen fragwürdigen Test Dritter, Beziehungen zwischen Menschen auf die Probe gestellt werden, die bereits zusammengehören oder sich füreinander interessieren. Liebe kann nicht erzwungen oder berechnet werden, gleichgültig, was uns Wissenschaft oder Konzerne weismachen wollen.

Zwischentöne (Gedicht)
von Eva-Maria Obermann

Midjourney Prompt: a small rainbow-coloured spark hides in a coloured mist --niji --v 5.1
Bild: Midjourney / R.H. Schneider


Ein Gedicht übers Angekommensein nach schmerzhaften Zeiten, aber zugleich über das Bedürfnis, verborgen sein zu können … sich in die Sicherheit zurückziehen zu dürfen.

Unterschied
von Jol Rosenberg

Midjourney Prompt: two 2 metre tall humanoid beings with many large dark blue scales. the older male being has scars and implants. the younger female being has blue feathers on the head. eyes with oval pupils. background is a command bridge of a spaceship, moebius style --v 5.2
Bild: Midjourney / R.H. Schneider

Das ewige und entsetzliche “Spiel des Krieges”, in dem es immer auch weniger Sieger als Opfer gibt. Opfer auf beiden Seiten und sich als Sieger fühlend meist nur in der kurzen post-kriegerischen Euphorie, das “Spiel” nicht verloren zu haben. Am Ende ist jede/r Opfer oder hat dergleichen gebracht. Wenn ganze Völker oder Generationen im Krieg aufwachsen, scheint ein Weg in die Normalität nur über die Hilfe von außen möglich zu sein, denn oft fehlt Hoffnung oder Phantasie … oder beides … dass es je ander sein könnte.

In dieser Kurzgeschichte werden Schuld und Buße, Scham und Hoffnung, Kriegstraumata und Wertschätzung so thematisiert, dass es einem nicht schwer fällt, das Szenenbild auf einem Raumschiff mit extraterrestrischen Wesen auf die menschliche Geschichte und Gegenwart geprägt von Feindbildern, Kriegspropaganda und die ach so einfache Einteilung in Gut und Böse zu übertragen.
 
Am Ende zählt für einen Neuanfang nach einem Krieg, seine Geschichte nicht zu vergessen und wie man sich anderen Wesen gegenüber verhält, um eine bessere Zukunft zu gestalten.

 

Sarah
von Clara Maj Dahlke

An alien humanoid robot stands by a futuristic dome of glass and steel and stone, in the distance a woman walks through sand dunes, desert, very bright sunlight, blue sky, solar punk, sciene-fiction, style of moebius --v 5.2
Bild: Midjourney / R.H. Schneider

Eine gestrandete Überlebende in einer post-apokalyptischen Wüste hat sich nach dem Verlust ihrer großen Liebe beinahe aufgegeben. Erst die Zuwendung und Fürsorge eines in dieser Szenerie so unwahrscheinlichen wie selbstverständlichen Wesens, gibt ihr wieder Hoffnung.

Sehr schöner als innerer Monolog im Tagebuch-Stil des Nicht-Menschens verfasster Solar Punk (ich glaub’ zumindest, dass die Geschichte zu diesem Genre gehört). Ruhig, beinahe traumwandlerlisch führt Dahlke uns an die Bewältigung von Verlust heran, die dann aber auch wieder zu neuem Verlust bei jemand anderem führt.

Auf Nimmerwiedersehen, Mittelerde – Über queere Unterkünfte, tote “Südländer” und die Macht des Unsichtbaren
von T.B. Persson

Sehr energische und kritische Analyse der rassistischen, sexistischen und diskriminierenden Strömungen und Tendenzen in J.R.R. Tolkiens Werk. Die Vehemenz, mit der Persson hier die destruktiven erzählerischen Elemente von Tolkien vorbringt, reizte und nervte mich beim Lesen so sehr, dass ich kurz davor war, abzubrechen. Da ich zu den unbelehrbaren Liebhabern von Tolkien und seinem Werk gehöre, schoss mir bei jeder wohl gut belegbaren Offenlegung seiner vorteilsbehafteten literarischen Charaktere und deren Verhalten ein abwehrender, sehr emotional gefärbter Kommentar durch den Kopf, der Tolkien verteidigt und ihn als Kind seiner Zeit von allem Fehlverhalten freispricht. Doch natürlich ist es so einfach nicht und auch die These, man überinterpretiere sein Werk und dürfe es nicht mit den gegenwärtigen gesellschaftlichen Maßstäben messen, greift zu kurz. Jede*r Autor*in ist ein Kind ihrer/seiner Zeit und trägt für die eigenen Worte die Verwantwortung.

Andererseits glaube ich, er würde der Argumentation von Persson und anderen Kritiker*innen folgen können, seine Schuld eingestehen und, würde er noch leben und weiter schreiben, Sprache, Wesen und Welten erschaffen, in der progressive Phantastik ihren Platz haben würde. Denn progressiv war Tolkien, meiner Meinung nach. Für die Phantastik und auch für die Wissenschaft in der er in seiner Epoche wirkte. Es spricht also nichts dagegen zu behaupten, dass er sich der Kritik stellen, sie annehmen und in etwas Neues umsetzen würde. Da dies leider nicht mehr möglich ist, liegt es an seinen Erb*innen, mit Hilfe von Worten an gesellschaftlichen Missständen zu arbeiten.

Ein Queer*Welten-Werkstattbericht
von Lena Richter, Judith Vogt und Heike Knopp-Sullivan

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