Aktuelle Auflage der Brockhaus Enzyklopädie geht (bald doch nicht) online

//upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c2/Draft01_wkp.pngkategorie_literatur… und der Druck der Brockhaus Enzyklopädie wird wohl eingestellt.

So lautete noch die Hiobsbotschaft im Februar 2008.

Der Grund für den sehr plötzlichen Gesinnungswechsel des Brockhaus-Verlags war eine nicht allzu erfreuliche Bilanz des Unternehmens für das Jahr 2007 und rüttelte die Gemeinde der Bibliophilen und die der Nachschlage-Fetischisten gehörig durcheinander.

Nun sind die Zahlen im Handelsblatt bekannt geworden: Die Umsatzerlöse des Verlagkonzerns sanken 2007 auf 93,3 Millionen Euro (Vorjahr: 107 Millionen Euro). Die Umsatzerlöse im Kerngeschäft, wozu die bekannten Lexika zählen, waren die Umsatzerlöse mit 65,5 Millionen Euro rund 15 Millionen Euro niedriger als im Vorjahr.

Vom Online-Gang und dem Einstampfen der Print-Ausgabe der Brockhaus-Enzyklopädie ist der Verlag allerdings noch etwas entfernt. Momentan spricht man von einem zweigleisigen Weg, der sowohl ein Online-Portal als auch eine Print-Ausgabe präferiert. Wie dieses Konstrukt wohl aussehen wird, steht in den Sternen und die Freude des Verlags in der Vergangenheit an Richtungswechseln lässt die Zukunft spannend erscheinen. Geldeinnahmen über Werbung auf dem geplanten Online-Portal scheinen ein wichtiger Faktor für die Zukunft des Lexikongeschäfts zu sein. Wie dabei der Verlag die Gratwanderung zwischen Einnahmen, Loyalität zu seinen Werbekunden und neutraler Lexikographie zu meistern gedenken, bleibt noch sein Geheimnis. Details werden laut dem Handelsblatt am 10. Juli 2008 zur Hauptversammlung erwartet.

Doch ob die Verzögerungen dem Onlinegang zuträglich sind, darf bezweifelt werden, denn die in derlei Dingen wesentlich erfahrenere Gemeinde der Wikipedianer betreibt immer mehr Maßnahmen zur Qualitätssicherung, wie die im Mai 2008 vom Stapel gelaufenenen ‘gesichteten Versionen‘ deutlich zeigen und hat damit auf dem Feld der Online-Enzyklopädien in vielerlei Hinsicht die Nase vorn.

Die altehrwürdige Encyclopaedia Britannica bastelt derweil an einer Experten/Leser-Online-Community, wie heise online am 09.06.08 berichtet.

 

Panik-Reaktion vom Februar 2008:

Man möchte es eigentlich nicht glauben! Ist es der Untergang der gedruckten Enzyklopädie? Ist es ein Sieg der Online-Enzyklopädien wie insbesondere ihrer populärsten Vertreterin, Wikipedia?

Laut der Online-Ausgabe des Börsenblatts (boersenblatt.net [1]) wird die renommierte Brockhaus Enzyklopädie am 15. April 2008 online gehen. Noch ist nicht ganz klar, ob man sich freuen oder ob man klagen soll. Das 30-bändige Werk, das noch immer bei Komplett-Abnahme für 2 670,– € erstanden werden kann, wird schon bald für den Internetnutzer kostenlos zur Verfügung stehen.

Die Beweggründe, diesen gewagten Schritt zu gehen, sind natürlich ökonomischer und nicht informationsethischer Natur. Doch wie groß müssen die Verluste sein, dass der Vorstand des Verlags Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG (kurz Bifab) auf die Einnahmen des Verkaufserlöses verzichten und seine Enzyklopädie-Grundpfeiler auf Werbeeinnahmen stützen will? Boersenblatt.net [2] spricht von einer “Werbevermarktung im Zusammenspiel mit vielen Content-Partnern und einem exklusiven Medienpartner”. Auch wenn die Bilanz von 2007 noch nicht feststeht, spricht boersenblatt.net [2] von einem “Verlust in der Größenordnung von mehreren Millionen Euro”.

Die Lemma-Inhalte des Brockhaus gelten als objektiviertes Wissen, ohne tendenziöse oder subjektiven Absichten. Die Zeit wird es erweisen, wie sehr die Werbeindustrie und die exklusiven Medienpartner objektives Wissen zulassen werden, sollten diverse Lemmata unangenehme Daten über eben jene veröffentlichen.

Was einerseits als logische Anpassung an das Medienverhalten der ‘Internetgeneration’ als fast natürlich anmuten mag, hat andererseits Konsequenzen für die hohen Ideale (zu denen auch die fachliche Unabhängigkeit zählt), denen sich der ‘Brockhaus-Verlag’ bisher verschrieben hat.

Es wäre aber verfehlt, hämisch über diesen Schritt zu urteilen und zu behaupten, dass nun der ‘Brockhaus-Verlag’ die Rechnung präsentiert bekäme, nachdem er jahrelang auf hohem Ross die enzyklopädische Zunft im deutschsprachigen Raum angeführt hat. Vielmehr sollten sich alle Liebhaber des enzyklopädischen Wissens aufgerufen fühlen, die Wandlung des Brockhaus aufmerksam zu beobachten. So natürlich der Medienwechsel vom gedruckten, statischen Medium ‘Buch’ zum digitalen, flüchtigen Medium ‘Internet’ vollzogen werden wird, so natürlich werden sich die Inhalte der Brockhaus Enzyklopädie dem Wettbewerb des OpenContent und des Creative-Commons-Rechtesystems stellen müssen.

Mathias Schindler, Gründungsmitglied des Vereins Wikimedia Deutschland e.V. und seit 2003 Wikipedianer, prognostiziert sogar den Wandel der Brockhaus-Lizenzierung bis 2010 hin zum (vorerst wohl restriktiven) Creative-Commons-Modell (vgl. Kommentar vom 11.02.2008 im boersenblatt.net-Artikel ‘Brockhaus startet im April breite Online-Offensive‘ [2]).

Dass der Bifab-Verlag den neuen Medien aufgeschlossen ist, zeigte er unlängst durch die Öffnung des Meyers Lexikon Online für die Laien-Öffentlichkeit, an dem nun alle angemeldeten Nutzer an Artikeln mitwirken können. Durch die Unterscheidung zwischen ‘Bearbeitbarem Artikel’ und ‘Geprüftem Artikel’ versucht das Meyers Lexikon Online einen Kompromiss zwischen gesicherten Informationen und populären, kollaborativen Funktionen des web 2.0 [am 23.3.2009 wieder eingestellt, vgl. Wikipedia].

So ambivalent man zum Schritt des Bifab-Verlags stehen mag, so ambivalent war schon seit einiger Zeit seine Haltung den digitalen Medien gegenüber. Noch 1999 wurde auf der Frankfurter Buchmesse “verkündet, dass es die große vierundzwanzigbändige Brockhaus-Enzyklopädie nie auf CD-ROM geben wird. Vielmehr ist ab Februar 2000 eine Internet-Ausgabe geplant.”[3] Wie wir inzwischen wissen, sieht eine klare Linie anders aus. An einer gesunden Portion Flexibilität ist gerade im Zeitalter des flüchtigen Internet nichts auszusetzen, es sei denn, man definiert sich als konservativer und stabiler als man eigentlich ist. Auch wenn der Bifab-Vorstand Marion Winkenbach auf der Unvergleichbarkeit der beiden Enzyklopädien Brockhaus und Wikipedia besteht, werden es die kommenden Monate erweisen, wie opportunistisch der Verlag werden muss, um seine Werbekunden halten zu können.

Die Wikipedia kann sich zumindest damit brüsten, bisher ohne die Einmischungen der Werbeindustrie ausgekommen zu sein. Wie lange man sich diesen Luxus leisten kann, steht auf einem ganz anderen Blatt, denn die hohen Kosten eines inzwischen globalen Netzwerks sind nicht auf ewig mit Spendengeldern zu decken.

Das folgende Zitat von Marion Winkenbach wird die Messlatte sein, an der der Bifab-Verlag ab dem 15. April 2008 gemessen werden wird:

“Diese beiden Angebote [Brockhaus Enzyklopädie und Wikipedia, A.d.V.] sind bei näherer Betrachtung so unterschiedlich, dass ein Vergleich aus unserer Sicht gar keinen Sinn macht. Hinter Brockhaus online steht ein Verlag, der über 200 Jahre Erfahrung mit der Erstellung von lexikalischem Wissen hat, und damit die ganze Qualität der Marke Brockhaus. Bei der Auswahl von relevanten Inhalten, ihrer strukturierten Aufbereitung, der objektiven Überprüfung von Texten und Bildern und der Auswahl von Multimedia-Inhalten setzen wir auf die langjährige Erfahrung bei der Redaktionsarbeit und Qualitätssicherung. Bei Brockhaus online findet der Nutzer relevante Informationen, die sich auf das Wesentliche konzentrieren.” [1]

Nachdem sich inzwischen Der Spiegel mit der Wikipedia und dem Portal wissen.de der Direct Group Bertelsmann im Portal wissen.spiegel.de kooperieren tauchen nun Gerüchte auf, die besagen, das Der Spiegel bereits vor einem Jahr mit dem Brockhaus kooperieren wollte, ihm dort aber die kalte Schulter gezeigt wurde.

Ich wünsche dem Verlag ein stabiles Rückgrat, dem Druck und den Avancen der Werbeindustrie und den “exklusiven Medienpartner” widerstehen zu können. Das Vertrauen in den Wahrheitsgehalt der Brockhausartikel wird nicht gerade anwachsen, sollte es dazu kommen, dass hier eine ähnliche Einflussnahme festgestellt werden kann, wie dies immer wieder der Wikipedia vorgeworfen wird. Der einzige Unterschied würde dann in der Finanzkraft der Einflussnehmenden liegen … und für eine zweite Wikipedia besteht wirklich kein Bedarf. Ob Frau Winkenbach Recht behalten wird, wenn sie sagt: “Und das ist das Wichtigste: Brockhaus online ist nicht manipulierbar.”[1] Die Brockhaus Enzyklopädie ist von einer römischen Herrscherfamilie zum Gladiator geworden … mögen die Spiele beginnen.

Pressestimmen (Auswahl):

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1 Roesler-Graichen, Michael: »Navigator der Wissenswelt«, 11.02.2008. http://www.boersenblatt.net/180276/

2 Roesler-Graichen, Michael: Brockhaus startet im April breite Online-Offensive, 11.02.2008. http://www.boersenblatt.net/180265/

3 Jörns, Gerald: Impressionen von der Buchmesse 1999. In: Telepolis, 17.10.1999. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/5/5389/1.html

4 Foto: Florian Hirzinger, http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c2/Draft01_wkp.png

 

[zuerst veröffentlicht bei http://interretiatus.wordpress.com]

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