Mika M. Krüger: Dunkle Wesen, stille Schatten

Herausgegeben von Mika M. Krüger

Rezension:

Micro-Rezensionen zu den einzelnen Texte:

Der Metallkoffer der Dämonenbehörde

von Caroline Christen

Wer hat sich nicht schon einmal vorgestellt, unerkannt unter Menschen zu sein … „Mäuschen zu spielen“ … andere dabei zu beobachten, wie sie ihr Leben leben, sehr private Dinge zu erfahren. Bei dem „Mäuschen“ in der Kurzgeschichte von Caroline Christen handelt es sich weniger um ein putziges, kleines Nagetier, sondern um einen Dämon, genauer gesagt, um einen Schattendämon, auch Umbra genannt.
Das hier unerlaubt umherhuschenden Exemplar hat seine Fähigkeiten, sich im wahrsten Sinne des Wortes, im Schatten zu halten, zum Beruf gemacht, um schwierige, naturgemäß nicht legale Aufträge anzunehmen. Und genau ein solcher führt ihn auf eine äußerst heikle Mission, die das Schattenwesen an die Grenzen seiner Fähigkeiten bringt.

Caroline Christen gestattet der/dem Leser*in Einblicke aus der ersten Reihe, wie es sich anfühlen muss, nahezu unsichtbar zwischen Menschen zu wandeln, ihren Geheimnissen zu lauschen und von ihnen zu zehren. Doch, wie alles im Leben, hat auch das Schattendasein seinen Preis, der diesmal vielleicht zu hoch ist.

Die Autorin erzählt spannend und rasant eine wirklich sehr besondere Situation und erfüllt dabei ganz nebenbei für die/den ein*e oder andere*n den lang gehegten Wunsch vom „Mäuschenspielen“.

Ein Geist aus Staub und Ton

von Claudi Feldhaus

Eine traurige, aber auch mutmachende Geschichte über das Erstarken organisierter Frauenbewegungen in Zeiten herannahenden Unheils.
Am Vorabend des ersten Aktes dunkelster Geschichte, in der die Welt noch nichts von den großen Kriegen wusste, entführt uns Claudi Feldhaus in ein Berlin, dass es so nicht mehr gibt. Umgeben von dunklen Menschenschatten, die allmählich erstarken und vermeintlich Schwächere marginalisieren und bedrohen, organisieren sich Frauen, um für ihre Rechte zu kämpfen und wenn nötig, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen. Dabei steht ihnen ein Schatten aus alten Schriften zur Seite, der eigentlich nicht menschlich, aber irgendwie doch mehr menschlich als so mancher Mensch ist.

Düster, spannend und in Anbetracht der darauf folgenden bekannten Weltgeschichte auch etwas traurig. Es könnte ein Prequel von „Anarchie Deco“ von Judith und Christian Vogt sein 😉

Aber wer weiß, was sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte schweigend und unerkannt an verlassenen Orten verborgen hat und vielleicht, in Zeiten äußerster Not, einen kleinen Zettel zugesteckt bekommt…

Nur ein Theaterstück

von Saskia Dreßler

Bei dem Titel dieser Kurzgeschichte ist es ja eigentlich völlig klar, dass sich die gruselige Erzählung von Saskia Dreßler eben nicht nur um ein Theaterstück rankt.
Teenager, insbesondere die testosterongesättigte männliche Variante, neigen dazu, sich gnadenlos zu überschätzen, was sie nicht selten in gefährliche oder gar tödliche Situationen bringen kann.
Aber die Faszination von Geisterhäusern ist und bleibt ungebrochen und das wohl in allen Kulturen. So wagen sich drei unterschiedlich verwegene Teens in ein altes, verlassenes Kabuki-Theater, angetriggert von der Recherche für ein Schulreferat.
Mut ist ja eine wichtige und hehre Eigenschaft, Leichtsinn allerdings nicht.
Und so nimmt das Schicksal der drei ihren Lauf, denn nicht allein die Baufälligkeit des Theaters stellt ein potentielles Risiko dar, sondern vor allem die Tatsache, dass an so manchen Gruselgeschichten mehr dran ist, als man sich er(alb)träumen mag.

Geschichten aus dem japanischen Kulturkreis sind eher selten bei uns zu lesen.
Saskia Dreßler entlehnt gleich zwei Aspekte aus Japan in ihrer Kurzgeschichte: die Tradition des Kabuki-Theaters und die der Onryou-Geister.
Spannend und mich mit Gänsehaut an eigene Gruselbegebenheiten erinnernd, erzählt sie auf wenigen Seiten die über drei Zeiten verschachtelte Geschichte einer tragischen und betrogenen Schauspieler-Gestalt, eines waghalsigen Jungautors und drei leichtsinnigen Teenagern, die alle in eine Welt der Geister gezogen werden, die sich „hinter“ der Theaterbühne verbirgt.

Also: Überleg’s dir gut, ob du eintreten möchtest.
Andererseits hat es ja noch nie funktioniert, Warnschilder an verlassenen Gebäuden anzubringen.

Danse Macabre

von Anne Danck

Der Tod hat viele Gesichter und begegnet uns seit Menschengedenken in den unterschiedlichsten Gestalten. Es ist wohl ein Ur-Bedürfnis des Menschen, etwas so Unvorstellbares und doch auch so Unabwendbares in irgendeiner Weise begreifbar zu machen, dass wir sie oder ihn einem Wesen zuordnen wollen. Verständlicherweise hat der Tod oft nicht das allerbeste Image, denn er oder sie nimmt uns das Kostbarste, was wir haben: das Leben. So neigen wir dazu, dem Tod eine hässliche oder grausame Gestalt anzudichten, gleichwohl wir tief in unserem Inneren um seine Notwendigkeit und Natürlichkeit wissen.

Umso schöner ist es, wenn wir uns Geschichten vom Tod erzählen, in denen er oder sie ein Wesen voller Anmut und Freundlichkeit ist, denn er oder sie empfängt uns schließlich, um uns in das nächste Dasein zu begleiten.

Anne Danck entführt uns in eine traumwandlerische Liebesgeschichte, die den alten Ausdruck des ‚danse macabre‘ trägt, der irrtümlich sowie unbegründet in uns womöglich etwas beängstigende Assoziationen hervorrufen könnte.

Dancks Tanz ist ein überaus leichter, fast ätherischer Reigen zweier von Sehnsucht erfüllten Gestalten um einander in Raum und Zeit: der Tod und das Mädchen bzw. die junge Frau.
So allegorisch die beiden auch sind, so individuell und realen Bedürfnissen nachjagend bildet die Autorin Zeile für Zeile, Monolog für Monolog zwei Charaktere aus, für die man in kürzester Zeit Interesse, Verständnis und Sympathie entwickelt.
Die Selbstverständlichkeit ihrer gegenseitigen Anziehung in Kombination mit dem souveränen Selbstbewusstsein der Frau, macht mindestens für eine_n der beiden aus dem ‚dance macabre‘ eine zu erforschende Erfahrung, die dann auch wieder ein Ende finden muss.

Die Kurzgeschichte von Anne Danck ist mal eine Begegnung mit dem Tod, die für mich sehr beflügelnd und beruhigend zugleich war.

Die letzte Verwandlung

von Stella Delaney

Botinnen und Boten des Todes gibt es in der Volksdichtung jeder Kultur in unzähligen Ausführungen. Mal erscheinen sie in Tiergestalt, mal sind es Geisterwesen mit menschenähnlichem Äußeren.
Naturgemäß verbreiten sie zumeist Angst, denn die wenigsten möchten so wirklich die letzte Reise antreten. Und schließlich muss man ja auch den Unerfahrenen oder Unbedarften ein klein wenig Schauer über den Rücken jagen, um sie vor Dummheiten zu bewahren. Eine Kultur, die eine enge Verbindung mit ihrem Land, den Bergen, Seen, den Tieren, den Pflanzen, dem Meer und den Jahreszeiten hat, wie die schottisch-gälische kennt zahlreiche Geschichten über Begegnungen mit Wesen aus dem Reich der Toten oder der Anderswelt. Selten sind diese Wesen nur böse oder durchweg grausam. Oft sind sie weise und gerecht und sorgen für ein Gleichgewicht oder ziehen nur die Konsequenzen einer menschlichen (Un-)Tat.

Stella Delaney widmet sich in ihrer perfekt zu einem nebligen Novembertag passenden Kurzgeschichte dem Katzenwesen Cat Sìth. Eine große schwarze Katze mit weißem Fleck auf der Brust, die zwar das Vorzeichen für einen nahenden Tod ist, aber nicht immer grundlos erscheint. Was die Sache nicht wirklich besser macht.

Denn ich weiß ziemlich sicher, wer mit diesem Hintergrundwissen ganz schnell das Weite suchen würde, wenn einem nachts im Nebel der Highlands am Dorfrand eine schwarze Katze begegnen würde…

Elise

von Mika M. Krüger

Wenn es in Geschichten um Vampire geht, tauchen unweigerlich filmisch geprägte Bilder in unseren Köpfen auf. Manche sind gruseliger, manche kitschiger und manche sogar witziger Natur. Man denke da nur an Nosferatu, Dracula, Horror of Dracula, Interview mit einem Vampir, The Hunger, The Lost Boys, Bram Stoker‘s Dracula, Blade, Underworld, Van Helsing, Daybreakers, die endlosen Twilightfilme, aber auch an Buffy, Angel, The Vampire Diaries, The Originals, True Blood und diverse Episoden in Supernatural. Mal sind es über-, mal widernatürliche Wesen der Nacht, deren unstillbarer Durst nach Blut, Menschen in ihrer direkten Umgebung das ein oder andere Problem bereitet.
Überhaupt sind Menschen zumeist gnadenlos den Vampiren unterlegen und im Grunde nur Blutsäcke (wenn ich mich recht erinnere, stammt der Begriff aus ‚True Blood‘, einer wirklich sehr guten Serie), die sich dann auch noch (semi-)freiwillig als Getränkeautomat anbieten/anbiedern.

Auch wenn in vielen Geschichten Vampire an sich schon übernatürliche Stärke und diverse psychisch-magische Fähigkeiten besitzen, so gibt es zumeist einen Ur- oder Alpha-Vampir, der seine hämatophage Verwandtschaft (zu häufig) patriarchalisch anführt, um Längen älter ist und über noch heftigere Fähigkeiten verfügt.
Wie genau dieser zu seiner Verwandlung gekommen ist, ist selten spektakulär und hängt des Öfteren mit einem unglücklichen Fledermausbiss oder Ähnlichem zusammen. Als Vampir geboren wurde meines Wissens noch keine_r, was wahrscheinlich an der geringen Überlebenschance der werdenden Mutter liegen könnte.

Einen wesentlich modernen Ansatz verfolgt Mika M. Krüger, die sich um einen neuzeitlichen und scheinbar erst kürzlich konvertierten Vampir sorgt, bzw. ihre Protagonisten um ihn sorgen lässt. Die Konsequenzen und Kolateralschäden sind, wie man sich schon denken kann, relativ blutig, aber nichts im Vergleich zu den Ursachen.
Eine erfrischend andere Vampirgeschichte…

Bestseller

von Kristina Schreiber

Etwas Kreatives zu erschaffen, ist für viele die Essenz des Lebens. Den eigenen Gedanken und Gefühlen Ausdruck verleihen zu können, ist für Künstler_innen das höchste aller Gefühle, so auch für Autor_innen, die ihr Innerstes in Worte fassen. Und wenn dann noch die eigene Schöpfung Anerkennung findet, kann es wie ein Rausch sein, besser als jede Droge.

Doch leider dauert der Rausch nie lange an. Die Arbeit ist geboren und in die Welt entlassen worden. Zumeist schließt sich heutzutage danach viel Arbeit an, die weniger kreativ und inspirierend ist: Textüberarbeitungen, social media-Aktivitäten, Lese-Tour, Interviews und Veranstaltungen aller Art und und und.
Und nach der Geschichte, ist vor der Geschichte, denn der Druck, erneut etwas zu erschaffen, kann schnell in eine fremdbestimmte Dauerproduktion führen.
Nicht wenige geraten dabei in ihrem kreativen Schaffensprozess ins Stocken, denn eigene und fremde Ansprüche streiten miteinander, während sich der Brunnen, aus dem man so gierig schöpfte, leer anfühlt.

Hier kommen die Musen ins Spiel. Menschen, Tiere oder Orte, die einem Kraft geben und in einem Ideen wecken, die wieder zu neuen Geschichten werden können.
Manchmal kann eine solche Muse auch ein übernatürliches Wesen sein, so berichten es zahlreichen Mythen und andere Überlieferungen. Doch das Geschenk, dass Künstler_innen von ihnen empfangen, ist eher eine Tauschware. Die meisten Geschichte über Musen lehren uns, dass alles seinen Preis hat.

So ergeht es auch der Bestseller-Autorin Melissa, die, von ihrem Verlag unter starken Zeitdruck gesetzt, ihren Folgeroman abliefern soll, und partout nichts Brauchbares zustande bringt.
Offenbar nicht zum ersten Mal greift sie in ihrer Verzweiflung auf übernatürliche Unterstützung, die Muse Kalliope, zurück, die ihr, gegen eine entsprechende Gegenleistung, bereitwillig und zuverlässig das Gewünschte liefert. Doch, was, wenn der Preis so hoch ist, dass er Melissa mehr und mehr aufzehrt? Was, wenn all ihre Energie in ihre Geschichten und in ihre Muse fließt und am Ende nicht mehr genug für sie übrig bleibt?

Eine sehr spannend geschriebene Kurzgeschichte, in der sich womöglich viele Autor_innen und solche, die es gerade werden, wiederfinden. Vielleicht hat sich die/der ein_e oder andere auch schon gefragt, was sie/er bereit wäre, für einen Bestseller, ein Meisterwerk zu zahlen und wie viel Vernachlässigung der eigene Körper und die eigene Wohnung ertragen könnte.

Wählt besonnen, wählt weise und bedenkt: Ihr habt sicherlich viele Geschichten in euch, aber ihr habt nur einen Körper.

Schattenwölfin

von Luga Faunus

Vignetten-Ausschnitt des Titels der Kurzgeschichte "Schattenwölfin" mit dem Scherenschnitt-Bild in Schwarz-Weiß eines heulenden Wolfes.

Wächter der Tiere und Pflanzen und ausgestattet mit Kräften der vier Elemente, leben Dryalven, wolfsähnliche Wesen, im Einklang mit der Natur. Schleichend von zerstörerischen Humanten in ihrem Lebensraum zunehmend bedroht, wird bei der jungen Dryalve Zistin die Macht einer Art fünftem Element durch ein traumatisches Erlebnis geweckt und droht sie zu überwältigen.

Die zu einem Roman gehörende Vorgeschichte ist zwar merklich komplex für eine Kurzgeschichte, funktioniert aber dennoch. Über mehrfachen Perspektivwechsel werden die Lesenden in eine animistische Welt gezogen, in der die Natur von Humanten geplündert und bedroht wird, während es bei den Beschützern der Natur Mächte gibt, deren Stärke sie selbst nicht beherrschen können und ins Chaos abzudriften drohen. Die verschiedenen Blickwinkel bewirken beim Lesen, sich schnell und tiefgreifend mit den Gedanken und Gefühlen der Charaktere verbinden zu können.
Ein von Luga Faunus gut gewählter Teaser, der Lust auf das macht, was such da wohl schon bald aus den Schatten erheben wird.

Unglücksbote

von Anne Zandt

Diejenigen, die schlechte Neuigkeiten überbringen, vor einer Katastrophe oder einem Unglück warnen, haben eigentlich immer die A***-Karte gezogen. Niemand mag Leute, die einem mitteilen, dass es demnächst ungemütlich wird. Warum das so ist? Wahrscheinlich liegt das in der weit verbreiteten Unfähigkeit, nicht zwischen Kausalität und Korrelation unterscheiden zu können. Und deshalb werden nicht selten die Überbringer_innen übler Nachrichten, für das Übel verantwortlich gemacht, weil es um Längen einfacher ist, als sich den wahren Gründen zu stellen. Kommt mir irgendwie klimakatastrophal bekannt vor.
Mischwesen, in diesem Fall Wesen mit menschlichen und tierischen Merkmalen und Eigenschaften, hatten es noch nie leicht. Sie wurden schon immer beschimpft, gejagt, getötet.
Auch der in dieser Kurzgeschichte von Anne Zandt beschriebene Glaukanthrop, also ein Hybrid aus Eule und Mensch, lebt gezwungenermaßen in Abgeschiedenheit und allein. Eulenmenschen, man könnte ihn und die nur noch sehr wenigen seiner Art eigentlich auch als „Wereule“ bezeichnen, scheinen immer kurz bevor etwas Ungutes passiert aufzutauchen und gelten deshalb bei den eher kleingeistigen Menschen als Unglücksbote. Würde man auf ihre Warnungen hören und sich nicht vor ihrem Äußeren fürchten, wäre wahrscheinlich so manches Desaster zu verhindern gewesen.

Eine einfühlsame, spannende, leicht erotisierte Kurzgeschichte über eine neugierige und selbstständige Frau, die sich nicht von ihrer Suche nach der Wahrheit abhalten lässt und dabei mehr entdeckt, als sie jemals vermutet hätte.