Kakophonie am See

Dieses ätherische Foto, das einem Steampunk-Remake von „Legende“ hätte entspringen können (ich verkaufe diese Idee gerne an interessierte Drehbuchautor*innen) – wahlweise auch potentiell entstanden am Filmset von Dune oder Mad Max: Fury Road), hat eine kleine (aber laute) Geschichte:
 
Es entstand als Abschlussaufnahme nach einem eigentlich als geplanter, entspannender Post-corona-, die Rekonvaleszenz unterstützender Mini-Ausflug, der durch omnidirektionale Dauerbeschallung ein jähes Ende fand.
 
Gut, es war ein Samstagnachmittag, an dem man durchaus damit hätte rechnen können, ausgelassene Party-People am Baggersee anzutreffen, aber die Anzahl, der Genremix, die Dezibel und die lückenlose Abdeckung der Kakophonie-Inseln war dann doch bemerkenswert.
 
Bereits bei der Ankunft war klar, dass der angesteuerte Stammplatz keine Option war, da „dankenswerterweise“ die auf Anschlag aufgedrehte Mega-Anlage (woher haben die Millennials und Post-Millennials eigentlich die Kohle für solches Equipment? Wenn ich bedenke, wie lange ich auf meine Walkman sparen musste … Jesses, ich höre mich wie meine Eltern an!) einer in Fahrt kommenden Party sehr deutlich machte, dass an diesem Abend dort alles andere als Entspannung zu erwarten war.
 
Also: Spontaner Rechtsschwenk und ab an einen ruhigen Uferabschnitt. Als erfahrener, ruheliebender Generation X’ler erkannte ich, ausgestattet mit meinem 7. Sinn für anthropogene Katastrophen, sofort eine vor uns liegende Ansammlung, die ein hohes Gefahrenpotential barg und hielt einen, wie sich kurze Zeit später herausstellte, zu geringen Abstand.
Murphy‘s Law entsprechend kam‘s, wie es kommen musste: Kaum war die Decke ausgebreitet und die infektgeplagten Glieder ausgestreckt, startete die auf der Liste der CIA auf Nr. 2 aufgeführte Foltermethode akustischen Terrors peu à peu. 
 
Zuerst drehte die bereits identifizierte Party No. 1 noch ein paar Dezibel auf, sodass auch wir an unserem weit entfernten Platz etwas von dem melodiebefreiten Techno-Beat genießen durften. Dann entschied sich eine benachbarte Gruppe ganz passablen Punkrock als Konter-Beschallung aufzudrehen. Bedauerlicherweise schafften es die akustischen Wellen nicht wirklich, einen gemeinsamen Takt zu finden.
Und wie auf ein geheimes Kommando hin, beglückte uns die direkt neben uns lagernde, bereits als verdächtig eingestufte Gruppe grenzdebilen Deutsch-Hip-Hop in tinnitusunterstützender Lautstärke zum Besten zu geben.
Interessantes Kontrastprogramm war eine aus mehreren Dutzend Menschen bestehende Gruppe, die etwas hippie-esk anmutende Klamotten trug und das ein oder andere Percussion-Instrument mitgebracht hatte. Sie positionierte sich direkt (!) vor der Party-People No. 1-Gruppe und begann ihren eurythmischen Freitanz … und das erstaunlicherweise synchron neben (!) dem Takt besagter melodiebefreiter „Musik“ der Party-People.
Nach investigativer journalistischer Recherche eines Mit-Leidenden (Dank an Tom) erfuhren wir, dass es sich dabei um eine während der Corona-Hoch-Zeit gebildete Gruppe tanzbegeisterter Menschen handelte, die sich regelmäßig zu derlei Events verabredete, bei denen sie alle über ziemlich gute, die Umgebung abschirmende Bluetooth-Kopfhörer, synchron sphärischer Musik lauschten und sich in den Sonnenuntergang tanzten. Finde ich super, insbesondere wegen der rücksichtsvollen Methode, ihre Umwelt nicht zum eigenen Musikgeschmack zwangszurekrutieren.
 
Jupp! Das war unser Signal und wir packten nach nicht einmal einer Stunde am See unsere Sachen aufs Rad und traten die Flucht an.
 
Notiz an mich: Das nächste Mal für alle einen Satz Bluetooth-Headsets mitnehmen, damit der Baggerseetrip entspannt bleibt.
 
Beim Blick zurück am Parkplatz entstand das obige Foto.

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