Judith und Christian Vogt: Schildmaid – Das Lied der Skaldin

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J.C. Vogt: Schildmaid. Das Lieder der Skaldin

Sie kämpfen, sie hoffen, sie arbeiten, sie quälen sich, sie lieben, sie leiden, sie töten … und alles auf einer gemeinsamen Reise, ohne ein eindeutiges Ziel: Die nicht männlichen Schildmaiden auf Viking von Judith und Christian Vogt.

“Zwei Kinder. Zweiundzwanzig Frauen … einundzwanzig Frauen – und Ulfberth.”

Wer die Werke der Vögte kennt, der/die wird nicht überrascht sein, dass sie es sich in Schildmaid. Das Lied der Skaldin, erschienen im Piper Verlag, nicht leicht machen, wenn sie einen Fantasy-Roman im frühmittelalterlichen Wikinger-Setting verfassen. Man kann sich aber sicher sein, dass sie mit so gut wie jedem Klischee und allen Stereotypen, die sie finden können, brechen oder sie zumindest hinterfragen.

Nichts in dem Reiseroman der beiden Vögte ist schwarz oder weiß, auch nicht unbedingt grau, sondern vielmehr springen die Farben wie Irrlichter in einem Moor von Pastelltönen zu satten, kräftigen Farben hin zu nebligem Weiß und dann wieder zu lichtlosem Schwarz.

Was wie ein naiver und beinahe trotziger Traum einer einzelnen Frau beginnt, geprägt von ihren eigenen Wunden in einer von toxischer Männlichkeit dominierten Welt, verselbständigt sich zu einer von Schweiß, Entbehrungen und harter Arbeit geprägten Reise mit zahllosen Herausforderungen und Gefahren, an deren Anfang der Bau eines alleine von Frauen gebauten Langbootes steht.

Die Besatzung wird nach und nach wie ein Magnet von dem Schiff Skjaldmaer angezogen und gerät in den Bann ihrer Erträumerin/Erbauerin Eyvor. Jede einzelne hat ihre eigene Geschichte, ihr eigenes Päckchen zu tragen und ihre eigenen Gründe, mit auf die Reise zu gehen.

Natürlich dürfen in der von den Vögten erdachten Welt der Wikinger*innen nicht die Gött*innen, Halbgött*innen, monströsen Gestalten und nicht-menschlichen Wesen fehlen. Zuerst ist es nur der Glaube an die Welten neben Midgard, der den gemeinsamen kulturellen Hintergrund aller Protagonist*innen bildet. Doch dann geschehen Dinge, die nicht in unsere heutige, aufgeklärte Welt passen wollen … Krähen sind nicht nur einfache Vögel, Runen nicht nur Schriftzeichen, Gestalten aus uralten Geschichten begegnen den Schildmaiden in einer überraschenden Selbstverständlichkeit und machen sie zu Figuren in einem göttlichen Spiel. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird klar: Vermeintliche Beschränkungen sind aufgehoben und alles erscheint möglich.

Natürlich wären die Vögte nicht die Vögte, wenn sie sich nicht wohl recherchiert an eine Weltordnung halten würden, die die Protagonistinnen bis an ihr Reiseziel begleitet. Historisch inspiriert, mit Mythologie durchzogen und immer darauf bedacht, progressive Phantastik zu leben … das ist das Rezept von “Schildmaid”.

Auch wenn nicht alle Protagonistinnen gleich gut mit Worten umgehen können, so reflektieren doch alle, alleine oder im Gespräch mit ihren Mitreisenden, über sich, ihre Gefühle, ihren Glauben, ihre Mitmenschen und den ganzen Rest. Selbstzweifel und Bedenken sind stets ihre Begleiter*innen und werden mehr oder weniger offen kommuniziert, statt sie (wie in herkömmlicher, männlich geprägter Phantastik) hinter kernigen Parolen und kämpferischer Selbstkasteiung zu verbergen. Was sonst gerne simplifiziert wird und darin mündet, entweder ohne Rücksicht auf Verluste zu obsiegen oder heldenhaft zugrunde zu gehen, sucht im Roman der Vögte nach lebbaren Lösungen. Das eigentlich Interessante und die eigentliche Viking sind nicht immer die blutigen Held*innentaten, sondern das ganze lästige Zeug dazwischen. Dabei darf man keineswegs weichgespülte Dialoge und opportunistisches Mimimi erwarten. Ganz im Gegenteil: Die Schildmaiden sind härter zu sich und ihren Mitreisenden als die Held*innen in so mancher mir bekannten männerlastigen Geschichte. Dadurch werden die Protagonist*innen aber nur noch nahbarer und jede*r offenbart Eigenschaften, die man in sich selbst wähnt. In einigen Gesprächen rund um den Roman “Schildmaid” wurde gefragt, in welcher Schildmaid man sich am ehesten wiederfindet … welche einem am ehesten entspricht. Ich könnte mich nicht entscheiden und vielleicht findet sich die/der ein oder andere ja auch in der kompletten Skjaldmaer wieder.

Die/der Leser*in wird zwar mit auf Viking genommen, aber nicht das Ziel, nicht der Erfolg oder die Beute sind die wichtigsten Bestandteile des Romans, sondern die Kälte, der Hunger, der Durst, die Übelkeit, der Schmerz, die Einsamkeit oder die Enge auf einem kleinen, selbst gezimmerten Boot. Auch wenn der Kampf eines kleinen Haufens Schildmaiden in einer Welt voller brutaler und unterjochender Männer und ihre eigenen Ziele verfolgender Gött*innen scheinbar aussichtslos erscheint, so wird doch deutlich, die vermeintlich Schwachen weben ihr eigenes Schicksal beizeiten auch selbst.

Mein Rat an die/den Leser*in:
Vergiss alle bekannten Klischees über Wikinger, lausche den Geschichten jeder/jedes Einzelnen und begleite die Schildmaiden auf ihrer Reise in eine ungewisse, aber garantiert saga-würdigen Zukunft.

Well done, Vögte!

Rán

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