J.R.R. Tolkien – Der Herr der Ringe – Eine Vorlesereise (Drittes Buch)

Eine illustrierte Vorlese-Reise (Teil 3):

Der Herrn der Ringe als Vorleselektüre ist an sich bereits eine Herausforderung … vor allem an die/den Zuhörende*n 😉
Aber wenn die Zuhörende eine 92-Jährige ist, wird die Sache interessant.

Nach dem zweiten Buch kann man unmöglich nicht weitermachen, zumal der Cliffhanger als die Gemeinschaft zerfällt, einem nicht wirklich eine Wahl lässt.

Illustrationen zu "Der Herr der Ringe"

Quelle: Midjourney/ Ralf H. Schneider

Texte zu den einzelnen Etappen

Mit dem dritten Buch des “Herrn der Ringe” beginnen parallel verlaufende Erzählungen der zerstreuten Gemeinschaft. Für meine 92-jährige Zuhörerin sind die Szenenwechsel keine kleine Herausforderung und kleine Einführungen inklusive Rückblicke werden von Kapitel zu Kapitel notwendiger, um nicht den Zusammenhang zu verlieren.

Drittes Buch

Das Ende des zweiten Buches ließ den Vorleser wesentlich ungeduldiger zurück als die zuhörende Seniorin. Die versuchte Übernahme des Rings durch Boromir, die panische Flucht Frodos und der Angriff der Orks mussten dringend weitererzählt werden.

Boromir muss in aller Eile bestattet werden, Frodo und Sam haben den Anduin überquert und der Rest der Gefährten, Aragorn, Legolas und Gimli nehmen die Verfolgung der Orks auf, die Merry und Pippin verschleppt haben. Dieser Teil der Geschichte kam schon so mancher/manchem Leser*in langatmig und übertrieben ausführlich vor, doch die extrem anstrengende Jagd schweißte Mensch, Elb und Zwerg in einer Weise zusammen, die den Rest der Geschichte noch bedeutsam prägen sollte.

Meine Zuhörerin schlummerte bei den ausschweifenden Landschaftsbeschreibungen tatsächlich, während die Dialoge der Orks für meine Stimme zu einer echten Herausforderung wurden.

Das allabendliche Ritual des Vorlesens beginnt immer mit einem Intro, bei dem wir uns gemeinsam auf die Bettkante setzen und ich versuche, den Anschluss an den letzten Abend zu finden und kurz zu rekapitulieren, während meine Seniorin an ihrem Schlaftrunk nuckelt. Sobald der geschafft ist, geht’s unter die Bettdecke und ich setze mich auf die Matratze am Fußende des Bettes. Jedesmal, wenn ich das mache, fragt sie: “Hast du Platz?” und ich antworte: “Ja, ich habe genug Platz.”.
Merkwürdig, aber diese wenigen Worte sind wie ein Signal, zum Heben des Vorhangs zu Mittelerde.

Aragorn, Legolas und Gimli wissen nun, dass die Orks, die Pippin und Merry verschleppt haben, tot sind, was etwas Tempo aus der Jagd nimmt. Allerdings steht noch die Gewissheit aus, ob die beiden Hobbits ebenfalls unter den Toten sind. Ein bedrückender Zwiespalt, in dem sich die drei Verfolger befinden, denn einerseits wollen sie erfahren, wie es um die Hobbits steht, andererseits schnürt die Befürchtung ihre Herzen zu, als sie plötzlich nächtlichen Besuch von einem merkwürdigen stummen Wanderer bekommen.

Nach Fangorn hineinzugehen ist die einzige Option für Merry und Pippin, auch wenn der Wald ihnen unheimlich vorkommt. Aber eher urgewaltig und alt und nicht so böse und hinterhältig wie der Düsterwald. Schließlich treffen sie auf Baumbart, den ältesten Baumhirten in Mittelerde. Er nimmt sich der beiden Hobbits an und sie berichten ihm von ihrer Reise und der Welt draußen … was den nicht wirklich hastigen Ent allmählich aufrüttelt.

Merry und Pippin berichten Fangorn über ihre Reise und das, was sie über die aktuelle Lage in Sachen “Saruman” und “Sauron” wissen. Offenbar reicht das, um Baumbart dazu zu bringen, ein Entthing einzuberufen. Das Resultat sind heftig aufgebrachte Ents, die gen Orthanc marschieren, in dem Bewusstsein, dass es ihr letzter Marsch sein könnte.

Die Überraschung und Freude, dass Gandalf den Sturz in den Höhlen von Moria überlebt hat, ist bei Aragorn, Legolas und Gimli riesengroß. Allerdings hat sich der Zauberer verändert und wurde “entrückter”, wenngleich nach eigener Aussage auch wesentlich mächtiger. Er lässt nur ganz wenige Informationen darüber heraus, was ihm in Moria widerfahren ist 🌳🌋🔥👿🧙‍♂️🧝‍♂️
Meiner Zuhörerin fand es aber ungemein interessant und kommentierte das Beenden des Vorlesens mit “Das ist aber schaaaaade.” 🤘

Die Möglichkeiten, dem Ringträger eine Hilfe zu sein, sind begrenzt und liegen nicht im Osten. Gandalf hat Pläne, die am seidenen Faden und an einigen Variablen hängen, die es abzusichern gilt. Eine ist das Bündnis mit Rohan und die Unterstützung durch König Théoden. Doch auch hier haben dunkle Mächte schon zu lange gewirkt und Einfluss ausgeübt. Diese Verbindung zu kappen und alte Verbündete wieder zu vereinen, sind die dringlichsten Aufgaben für das Quartett aus Maia, Mensch, Elb und Zwerg.

Gandalf mischt den Hof von Meduseld in Edoras ordentlich auf. Er lässt keinen Zweifel daran, dass er in Eile ist und eine klare Agenda hat: Théoden aus dem Gespinst Sarumans zu berfreien und die Rohirrim in die Schlacht führen zu lassen.
Auch in diesem Kapitel wird leider wieder deutlich, dass Tolkien die Rolle der Frau … sagen wir mal freundlich ausgedrückt … klischeehaft und sehr nebenrollenorientiert angelegt hat. Eowyn, die ja später durchaus eine phänomenal bedeutsame Rolle spielen wird, ist nicht mehr als eine im Hintergrund agierende stille Dienerin, die sich auch noch in den falschen Mann verguckt. Etwas zu devot-tragisch angelegt, finde ich.
Auch wenn die Intention dahinter der langsame Aufbau einer Nebenhandlung war, hätte sie schon hier durchaus mehr Text bekommen dürfen.

Dass Tolkien den Herrn der Ringe für Kinder geschrieben hat, bezweifle ich ja stark. Aber ob er daran gedacht hat, wie seine Geschichte auf Senior*innen wirken würde, das bezweifle ich wesentlich mehr.
Dennoch bleibt meine Seniorin auch bei den grausigsten Beschreibungen des Gemetzels bei der Schlacht um die Hornburg bei Helms Klamm aufmerksam und behält die Augen offen.
Was sich da vor ihrem inneren Auge abspielen mag, während Scharen von Uruk-hai die Festung durchbrechen und Mensch um Mensch abschlachten, vermag ich nicht zu sagen. Auf mein Nachfragen, ob sich Minni bei all dem Töten gruseln würde, verneinte sie das völlig ungerührt: “Nein, das ist schon gut.”
Nu’ ja, so wirklich gut wurde es ja erst am nächsten Tag … im RL und im LOTR.

Die doch etwas martialische Episode in der Schlacht bei Helms Klamm ging für die Guten gerade nochmal gut aus. Mit großem Mut, viel Einfalls- (bzw. Ausfalls-) -vermögen, unerwarteten bekannten und unbekannten Verbündeten gelang es, die überwältigende Streitmacht aus Isengart zu bezwingen, sodass kein Ork das Tal bei der Hornburg lebend verließ. Dank Gandalfs enormer Bemühungen, seiner wohl durchdachten Strategie und der Hilfe der Ents wurde zumindest dieser Plan Sarumans vereitelt.
Auch eine 92-Jährige vermag durchaus strategisch zu handeln, denn sie weiß sehr wohl, wen sie wie zu nehmen hat, um ihren Willen zu bekommen. Mit der richtigen Dosis an Widerstand, Ausreden und herzzerreißendem Klagen, natürlich für jeden Pflegenden individuell angepasst, bekommt sie oft ihren Willen. Leider etwas suboptimal, wenn dadurch z.B. zu wenig gegessen oder getrunken wird. Das ist wohl das letzte Restchen Selbstbestimmung, die man ihr nur ungern nehmen möchte. Jede*r braucht ihre/seine kleinen Alltagserfolgserlebnisse 😉

Kaum ist das Gemetzel vorbei und die relativ energisch vorgetragenen Dialoge (vor allem die Ork-Parts) sind verklungen (was meine Stimme beizeiten nicht unwesentlich strapaziert … als Vorleser hat man’s schon schwer 🥺😇), schläft Minni doch tatsächlich während des Zuhörens ein 👀😴
Aber kaum klappe ich das Buch zu, wacht sie auf und nuschelt etwas unverständlich: “Ist es schon fertig?” 😉
Nachdem die Ents und Huorns Isengart plattgemacht haben, gibt es an den Toren ein glückliches Wiedersehen mit Pippin und Merry, die natürlich nur ihre nächste Mahlzeit im Sinn haben, während sie ihre Tabakbeute verköstigen.

Als ich meine Seniorin vor dem Zähneputzen fragte, was denn danach käme, antwortete sie ohne zu zögern: “Lesen!”. Ha! Sie sagte nicht “Bierchen” (da sie jeden Abend ein Glas alkoholfreies Bier als Schlaftrunk bekommt). Da schwillt die Vorleser-Brust, bedeutsamer zu sein als das überaus leckere Bio-Bier.

Am Fuße von Orthanc findet indes das vorerst letzte Zauberer-Battle statt und schnell wird deutlich, dass Sarumans beste Tage Geschichte sind. Zum Verdruß des inzwischen gebrochenen Oberhaupts des Weißen Rats beweist zudem Grima Schlangenzunge, dass Hass und Dummheit oft einhergehen. Wähle weise, wen Du in Zeiten der Not in den Haus lässt.

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