J. C. Vogt: Anarchie Déco 1930

Bewertet mit 5 von 5
„Renn und mach was mit Blitzen!“
Sandor (S. 211)

Magie im Berlin der 1920/30er Jahre. Wem das vertraut vorkommt, hat womöglich den ersten Band ‚Anarchie Déco‘ von Judith und Christian Vogt gelesen und wird begeistert sein, weiterverfolgen zu können, wie Magie die Wissenschaften, die Welt, aber vor allem die politischen Kräfte eines sich nach dem 1. Weltkrieg nicht wirklich zur Ruhe kommenden Deutschlands verändert.

Der Folgeband nach Anarchie Déco, zu dessen Realisierung ich ein kleines Kickstarter-Fitzelchen beitragen durfte, ist eine direkte Fortsetzung der Geschehnisse rund um real gewordene Magie, Nike, Sandor, Georgette und vielen anderen Charakteren im Berlin zwischen den 20er und 30er Jahren. Auch wenn der erste Band schon politisch war, so schwelte die nationalsozialistische Krankheit da noch im Untergrund bzw. erschien in ihrer punktuellen Ausprägung noch als nicht weiter beachtenswertes Phänomen für die Roman-Bevölkerung. Das Magische, Wissenschaftliche und Kriminalistische wird in Anarchie Déco 1930 mehr und mehr vom Politischen bzw. vom Machtkampf brauner, roter und schwarzer Kräfte bestimmt, während die Magie mehr und mehr aus den wissenschaftlichen Kreisen zum Werkzeug faschistischer Ideologien und als Katalysator von Angst und Hass in der Bevölkerung genutzt.

Auch wenn die Magie in diesem Werk progressiver Phantastik fiktionaler Natur ist, so steht sie stellvertretend für machtvolle Gedanken und vereinfachende Erzählungen, die schneller als man das vermuten würde, polarisieren, die Stimmung der Menschen aufheizt und von offiziellen und anderen Organisationen für unheilvolle Zwecke missbraucht werden. Die Verfolgung von nicht in die Norm passender Menschen, deren Unterdrückung und letzten Endes zu ihrer Vernichtung führ(t)en, wird den Lesenden von den beiden Vögten erst exemplarisch in die fesselnde Handlung eingewoben, dann aber in einer Art eskalierendem Experiment am Ende des Bandes komprimiert und brutal vor Augen geführt.

Ein spannender Roman wenngleich keine leichte Kost. Aber gerade heutzutage ist es umso wichtiger, dass die wahren historischen Geschichten vor nun mehr knapp 100 Jahren und die fiktionalen Erzählungen von heute über diese Zeit und die zerstörerischen Kräfte und Ideologien wieder vermehrt gelesen und weitererzählt werden. Denn Gaslaternen gibt es auch heute noch, auch wenn sie weniger greifbar, sondern digitaler Natur sind und nicht einmal Licht spenden.