Athea Graye – ex terrae – Die Prüfungen

Rezension:

Eine Expeditions-Crew auf der Suche nach dem Wahrheitsgehalt eines Mythos, um eine sagenumwobene Energiequelle auf dem Planeten Elysia.
Die Crew besteht aus der Archäologin und dem Kopf der Mission (“Bossin”) Dr. Elara Carter, dem Piloten Boreas Stone (genannt Bo), der Genetikerin/Biologin Dr. Samara Lee (genannt Sam) und dem Xandorianer und Ingenieur Malthyrex (genannt Max).
Wir befinden uns im 24. Jahrhundert und um die Erde steht es nicht wirklich gut. Im Grunde gibt es sie nicht mehr … genauer gesagt, es gibt dort kein Leben mehr. Wir haben es also doch noch vollständig verbockt. Das ist der eine Aspekt des dystopischen Anteils des Romans. Doch wo Verzweiflung ist, da ist auch Hoffnung (das ist der utopische Charakter der Geschichte) und genau das ist der Antrieb der Protagonist_innen, sich auf einen unerforschten Planeten zu begeben, um nach einer Energiequelle zu suchen, die die menschliche Zivilisation zu retten imstande sein könnte. Zwar sind die Indizien eher eine Mischung aus archäologischer Forschung und Mythen, aber da es ohne eine solche Energiequelle mit der Menschheit und dem ganzen Rest wohl ziemlich übel aussehen würde, ist die Mission verzweifelt alternativlos.

Und so beginnt die Reise durch den Raum. Doch nicht nur im guten alten Sinne einer Space-Opera wird auf Planeten gelandet und zwischen Sternensystemen gereist, sondern alle Crewmitglieder begeben sich im Laufe der Geschichte auch auf eine Reise in ihr Innerstes. Beide Formen des Reisens bergen zahlreichen Gefahren und Risiken, was so manche_r schmerzhaft erfahren muss. Doch weder das Suchen und Reisen auf und zwischen Planeten noch die kritische Selbstreflektion mitsamt heftigster “kalter” Traumabewältigung ohne therapeutische Begleitung reichen aus, um sich der eigentlichen Challenge, einem schier allmächtigen Endgegner zu stellen (das ist der andere dystopische Aspekt der Geschichte). Dazu ist es notwendig, alles hinter sich zu lassen und neue Wege zu beschreiten.
Alle Protagonist_innen machen auf ihren Reisen und durch die Begegnungen mit sich, ihrer Vergangenheit und extraterrestrischen Lebensformen eine Entwicklung durch, die sie am Ende alles andere als unverändert zurücklässt.

Athea Graye zeichnet ihre Held_innen durchaus als Anti-Held_innen, die erst durch ihre Queste mitsamt einer artusepischen Doppelwegstruktur zu wahren Held_innen werden.
Doppelweg mag hier irreführend sein, denn eigentlich durchlaufen sie nicht nur zweimal ihre Verkettung von Aufgaben, sondern über 4000 mal. Was das genau bedeutet, soll die/der Leser_in aber besser selbst herausfinden.

Das Besondere bei Athea Graye ist, dass sie viel Zeit und Seiten auf die Traumabewältigung aller Protagonist_innen verwendet. Für meinen Geschmack etwas zu viel, denn ich muss gestehen, das sich mich so ein bisschen darin und immer mal wieder den Zusammenhang verloren habe.
Es gibt neben der zum Teil menschlichen Crew auch andere – ziemlich außergewöhnliche – Wesen, denen die/der Leser_in im Lauf der Geschichte begegnet. Die Beschreibung der äußerlichen und innerlichen Merkmale hätte für meinen Geschmack etwas ausführlicher sein können. Aurora zum Beispiel konnte ich mir bis zum Schluss nur sehr vage vorstellen, was natürlich an mir liegen kann und es würde mich nicht wundern, wenn ich die beschreibenden Sequenzen fatalerweise überlesen habe.
Die ein oder andere Merkwürdigkeit ließ mich stutzen und ohne spoilern zu wollen, wunderte ich mich schon sehr, dass die Entdeckung der leeren Schiffsbatterie doch ziemlich spät erfolgte. Auch empfand ich es als ziemlich kurios, dass die Crew in einer schier ausweglosen Energiemangel-Situation spontan “Mensch-ärgere-dich-nicht” spielt. Aber gut … vielleicht ist das im 24. Jahrhundert so und nicht wirklich etwas Besonderes 🙂

Die Aneinanderreihung von zu lösenden Aufgaben erinnerte mich sehr an gute, alte Pen&Paper-Rollenspiel-Queste, in denen alles, was man sieht und findet eine Bedeutung hat und nur auf Entdeckung wartet. Diese lineare Verkettung von Rätseln und Lösungen empfand ich in der Fülle als etwas zu üppig.
Weniger durchschaubar waren die Episoden in der Buchmitte, deren extreme Verläufe und Twists doch sehr überraschend waren und ich das ein oder andere Mal zurückblättern musste, um mich zu vergewissern.

"Es fühlte sich an, als würde die Luft selbst zu einem Beobachter werden." (S. 361)

Athea Graye wagt den Spagat zwischen Themen ernsthafter Psychotherapie, Humor (ich glaube, ein Monty-Pythoneskes Killerkaninchen entdeckt zu haben), zwischenwesenlichen (durchaus komplizierten bis ausweglosen) Beziehungen und gnadenlos brutalen Schlachtszenen. Beizeiten mutet die sprachliche Umsetzung etwas pathetisch an (“Die toten Augen der Kreatur schienen ihr tief in die Seele zu blicken, als wollten sie eine uralte Warnung übermitteln”, S. 48) und wirkt für meinen Geschmack hier zu bedeutungsschwanger. Auch geht es mir bei so mancher Episode etwas zu schnell, wenn äußere Handlungen mit inneren Prozessen einhergehen (“Er hatte nicht nur eine Maschine repariert, sondern auch sich selbst.” (S. 103))

In der Mitte des Buches stehen die titelgebenden, sehr zahlreichen Prüfungen im Vordergrund. Dabei muss sich jedes Crewmitglied einzeln seinen eigenen Ängsten und Traumata stellen sowie gemeinsam Lösungen finden, um sich als würdig zu erweisen.
Die Fülle an Szenenwechsel und unterschiedlichsten Konstellationen einzelner Lebensphasen ist für meinen Geschmack etwas zu heftig ausgefallen und lenkte mich zu sehr vom Plot ab.

Ob beabsichtigt oder nicht, vermag ich nicht zu sagen, aber einige der zwischenmenschlichen Episoden haben für mich zwischenzeitlich den Charakter einer TV-Soap, was für andere Leser_innen durchaus attraktiv erscheinen mag, für mich persönlich weniger interessant ist. Anleihen von antiken Tragödienstoffen, Motiven von George Lucas und auch Assoziationen von Flash Gordon und den Hyperion-Gesängen blitzten (zumindest für mich) immer wieder auf, während das von langer Hand vorbereitete Teambuilding fast in eine Gruppentherapie abzudriften drohte.

Während sich das Puzzle nach und nach oder auch mal schlagartig vervollständigte, wird ohne spoilern zu wollen, bald klar, dass Menschen nicht nur Flüchtlinge und Suchende sind, zu denen sie sich durchaus selbst gemacht haben, sondern auch die Usurpatoren, die andere Zivilisationen ausbeuten und vernichten.

Nicht nur die Protagonist_innen sondern auch die Autorin machten für mein Dafürhalten im Verlauf des Buchs eine Entwicklung durch, die sich auch sprachlich äußerte. Während sich der erste Teil der Geschichte für mich manchmal etwas holprig und aneinandergereiht las, findet Athea Graye ab der Hälfte immer mehr ihren Stil und erzählt konsistenter und sprachlich reifer.
Da ich mal davon ausgehe, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird, freue ich mich schon auf ihr nächstes Werk.