James A. Sullivan: Das Erbe der Elfenmagierin

4.5/5

Der erste Band der Chroniken von Beskadur ist, das kann man mit Fug und Recht konstatieren, diverse und emotionale Fantasy. Von Beginn an wird klar, dass traditionelle Rollen von James A. Sullivan so gar nicht bedient werden. Das mag den konservativen Fantasy-Fan etwas verunsichern, aber derlei Verwirrung ist der Anfang von einem neuen Denken. Auch ich, der ich völlig unabsichtlich eher mit der durchgänig männlichen Riege von J.R.R. Tolkien, T.H. White, Michael Moorcock, Stephen R. Donaldson, Terry Brooks, Philip José Farmer, Tad Williams, Wolfgang Holbein, Raymond Feist und vielen mehr durch unzählige Fantasy-Welten geführt wurde, lerne die Fantasy allmählich neu kennen. Ich müsste lügen, wenn mich die Kombination aus sich verfolgenden und mit der Absicht sich entführen oder töten wollenden Gruppierungen und die zärtlichen, erotischen Bande zwischen den Hauptfiguren nicht leicht abgelenkt hätte. Aber hey … es hat sehr viel Spaß gemacht!

Nicht nur Science-Fiction, sondern auch Fantasy spiegelt das Zeitgeschehen der Autor*innen wider und unsere Gegenwart ist geprägt von Diversität und dem Überbordwerfen alter Rollen. So ist es nur konsequent, dies auch in Geschichten von Heldinnen und Helden lesen zu können, die in fantastischen Welten Abenteuer bestehen oder an ihnen scheitern. Es wird eine diverse Gesellschaft gezeichnet, die sehr bunt ist … auch was die getragene Kleidung angeht 😉

James A. Sullivan zieht es mit einer großen Leichtigkeit durch, seinen Charakteren starke Gefühle, Offenheit gegenüber Neuem und Selbstzweifel mitzugeben. Nicht die Reduktion auf Held und Widersacher, Gut und Böse und der ewige Kampf alter Mächte … das kommt allerdings auch nicht zu kurz … sondern die zwischenwesenlichen Beziehungen über Geschlechter- und Wesengrenzen hinweg bilden die Essenz seiner Erzählung. Ausgiebig schildert er die beginnenden zarten Bande zwischen den Charakteren und die sich daraus bildenden Bindungen, die die Handlung wie ein Kitt zusammenhält.

Schön auch, dass die Übergänge zwischen Gut und Böse ab und zu durchlässig werden, extreme Taten auch verziehen werden können und sich Meinungen der Charaktere im Laufe der Handlung verändern können. So, wie es eben auch in der langweiligen Nicht-Fantasy-Realität geschieht. Das erleichtert die Identifikation mit den Figuren, auch wenn man natürlich nur selten die körperlichen Attribute derselben teilt.

Die Reise ist in Sullivans Geschichte ein wichtiges Element und trägt die Handlung in viele verschiedene Regionen. Allerdings geht das Reisen für mein Gefühl etwas zu schnell. Er verweilt nicht in dem Maß in den Landschaften, beschreibt nicht in der Ausführlichkeit den Weg und das Erlebte, wie ich es gerne hätte. Ich bin da wohl mehr der geographische Lese-Typ, der alles erläutert und die topographischen Besonderheiten erklärt haben möchte, damit ich mich auf die Rahmensituation besser einlassen kann. Die Reisen sind relativ flott abgehakt, aber wahrscheinlich ist das so gewollt, da sonst der Band zu dick geworden wäre.

Interessant ist zudem, dass James A. Sullivan zarte genreübergreifende (Science-Fiction) Details einflechtet, so dass wir fliegende Luftboote kennenlernen dürfen, wenngleich sie (natürlich) durch Magie betrieben werden. Die Erklärung, ob Magie ein nachwachsender Rohstoff ist, dadurch Schadstoffe frei werden oder diese Fortbewegungsmittel CO2-neutral sind, bleibt er den Leser*innen allerdings schuldig 😉

Das Erbe der Elfenmagierin ist spannende Wohlfühl-Fantasy, in der Aufrichtigkeit und Selbstreflexion allgegenwärtig sind. Ich ertappte mich oft dabei, wie ich darauf lauerte, dass die/der ein oder andere ein falsches Spiel treibt und nur so tut als ob … doch die Figuren bleiben sich stets treu. Wahrscheinlich bin ich einfach nur gewohnt, Geschichten mit miesen Charakteren zu lesen. Gut, dass James A. Sullivan nicht den Blick auf das Gute in allen Wesen verloren hat. Ich freue mich schon sehr auf den im nächsten Jahr erscheinenden zweiten Band der Chroniken von Beskadur.