E.M. Forster – Die Maschine steht still

E. M. Forster: Die Maschine steht still. Aus dem Englischen von Gregor Runge. Hamburg: Hoffmann und Campe Verlag 2016.

Rezension:

Das Jahr 2025 beginnt für mich mit einer der beeindruckendsten Science-Fiction-Kurzgeschichten, die ich bislang lesen durfte:

Die Maschine steht still von E.M. Forster in der Übersetzung aus dem Englischen von Gregor Runge.

Wer in der 1909 veröffentlichten Geschichte nicht die gegenwärtig spürbaren Symptome unserer von mobilen Geräten und Social Media geprägten Gesellschaft und die konsequent weitergedachte Entwicklung von KI erkennt, möge sich bitte melden.

Und wer wissen möchte, wohin uns die Vernetzung und KI steuern könnte, die/der möge ‘Die Maschine steht still’ lesen.

 

E. M. Forster wusste schon 1909 die heimliche Macht des Flugzeugmodus einzuschätzen. Er nannte ihn dereinst allerdings “isolation knob”.

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Den bereits schon vor längerer Zeit mal gehegten Plan, “Die Maschine steht still” zu lesen, bzw. als Hörbuch einzuverleiben, verwirklichte ich erst, als ich “Künstliche Intelligenz – und echtes Leben” von @christian.uhle.philosophie las und erfreut feststellte, wie er darin Science-Fiction-Geschichten und antike Mythen an den Anfang seiner Kapitel stellt … und mit E.M. Forster beginnt.
Christian Uhle konstatiert, dass zwischen uns Menschen immer häufiger die Technik steht und einen unmittelbaren und ungefilterten Zugang verhindert – und das nicht erst seit der Entwicklung der Telekommunikation. Doch je mehr wir den Versprechen der modernen Technologien nachgeben, umso weniger nehmen wir die Umwelt und die anderen Menschen “in echt” wahr. Das prägt zwangsläufig unser Bild von der und Gefühl für die Wirklichkeit und verändert uns.

Wenn die Wirklichkeit und unsere Vorstellung von ihr immer mehr auseinanderdriften, kommt es unvermeidlich zu einer Diskrepanz, die wenig Gutes mit sich bringt. Ein paar der Folgen erkennen wir inzwischen, nachdem das globale Laborexperiment “Pandemie” abgeschlossen war und staunen nicht schlecht, welchen psychischen und emotionalen Herausforderungen wir uns nach dieser exzessiven Separierung und intensiven Telekommunikationstechniknutzung nun stellen müssen und wie sich die Wirklichkeit seitdem verändert.

Umso erstaunlicher sind die Beschreibungen der Zukunft von Forster aus dem Jahr 1909, als niemand von KI, Video-Calls, Smartphones geschweige denn von Computern wusste.

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Kommunikationstechnologien traten einst an, um Menschen besser miteinander zu verbinden. Zwar entsprach die Motivation für ihre Entwicklung selten dem, was später aus ihnen wurde, dennoch transformierten sie die menschliche Kommunikation in globaler Dimension.

So wurde der Hörfunk mit drahtgebundenen Telefonen (Theatrophonen, 1881) entwickelt, um Konzerte und Theaterstücke über weite Entfernungen zu übertragen und “Telefonzeitungen”, um Zeitungsinhalte akustisch zu übermitteln … quasi der Prototyp eines Podcasts 😜. Das Internet war ab 1969 bekanntlich die US-Entwicklung der ARPA (heute DARPA) eines dezentralen Kommunikationsnetzwerks militärisch-strategischer Einrichtungen für den atomaren Ernstfall. Und der Siegeszug des Smartphones begann 1923 mit einem Telefondienst für Reisende der 1. Klasse in der Deutschen Reichsbahn, entwickelte sich ab 1946 dann zum Autotelefon und ist nun das erste künstliche Out-of-Body-Organ, ohne das ein Leben kaum noch möglich ist 😫
Und das Fundament für Social Media wurde bereits in den 1980ern mit Bulletin Board System gelegt, das, wie der Name schon sagt, so etwas wie ein Schwarzes Brett war, nahm mit dem World Wide Web in den 90ern richtig Fahrt auf und erreichte dann 2003 mit LinkedIn und MySpace, 2004 mit Facebook und dann 2007/08 mit Twitter globale Bedeutung. Und nun unterstützen Zuckerberg und Musk den Amerikanischen Alptraum und pervertieren den ursprünglichen Sinn von Informationsvermittlung und Gemeinschaftsbildung 🤮

Die exzessive Nutzung diese Technologie hat u.a. zur Folge, dass wir uns immer weniger mit Real-Life-Angelegenheiten beschäftigen und führt allmählich zu einer lethargischen Starre. Diese nehmen wir dummerweise gar nicht als problematisch wahr, weil wir über die konsumierten Medien, (Nicht-)Informationen und fiktiven sozialen Kontakte ununterbrochen belohnt und von ihnen abhängig werden 😫

Wir müssen wieder aufwachen und uns bewegen!

Auch das thematisierte E.M. Forster bereits 1909.

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Überforderung, Angst, Bildungsdefizite, Intoleranz, Schwarz-Weiß-Denken, Polarisierung, Populismus, Ekpathie, Desinformation, Misstrauen in bestehende Institutionen, Egoismus, Xenophobie, Isolationismus und noch so manches mehr sind Zustände und Prozesse unserer Zeit.

Vor allem das Gefühl der Angst löst bei vielen Gegenwehr gegen alles Bestehende aus und schürt den Glauben, dass eine versprochene einfache Antwort die Lösung schlechthin ist, einen selbst schnell und gründlich zu retten … ob auf Kosten anderer und mit jeder Menge Kolateralschäden an Menschen und Umwelt, wird dabei geflissentlich ignoriert oder negiert.

Nachdenken, Fakten überprüfen, Fragen stellen, Haltungen anderer gemeinsam diskutieren, gegenseitiges Verständnis entwickeln, Kompromisse finden … all das gerät in den Hintergrund.
Dabei muss ich oft an eine Zeile im Song “Mother Of Violence” von Peter Gabriel denken:
“Fear, she’s the mother of violence”.

Gerade die extrem schnell getakteten und immens zahlreichen leicht manipulierbaren (Des-)Informationen der sozialen Medien schüren Ängste und machen uns gegen alles, das komplex ist und differenziert gesehen werden sollte, aggressiv.

Auch das ist ein Phänomen, das E.M. Forster bereits 1909 in “Die Maschine steht still” schon beschrieben hat.

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Das Buch als haptisch-physisches Objekt rutscht allmählich auf die Rote Liste.
Auch wenn steigende Papierpreise und Fragen der Nachhaltigkeit Argumente liefern, um auf digitale Lektüre umzusteigen, kann ich mich persönlich in Sachen Unterhaltungsliteratur nicht vom Holzprodukt lösen.

Erfreulicherweise steigt der Prozentsatz von Jugendlichen, die täglich oder mehrmals pro Woche ein Buch (Print/E-Book) in die Hand nehmen seit 2022 wieder an und lag 2024 bei 37%, wohingegen Zeitungen und Zeitschriften bei gerade mal 10% liegen.
Die Umsätze des Buchmarkts für Print-Bücher sinken aber seit 2021 stetig, während die des E-Book-Markts, der ca. 7% des Printmarkts ausmacht, stetig steigen (Quelle: Statista).

Das trifft vor allem Kleinverlage extrem hart und Autor*innen, die keine Ex-Kanzlerinnen oder Ex-TV-Moderatoren mit Mainstream-Themen sind.

Unterstützt deshalb Kleinverlage und eure Lieblingsautor*innen, wo ihr nur könnt. Sonst wird der Buchmarkt eine dröge Monokulturlandschaft von Bestsellern.

Erstaunlich, dass E.M. Forster das 1909 bereits voraussah, 60 Jahre bevor das erste E-Book (1971) das Licht der Welt erblickte und knapp 30 Jahre bevor Konrad Zuse seine Z1 fertig stellte (1938).

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„Natürlich hatte sie sich mit der Vorgängerkultur befasst, die den Zweck des Systems (Transportsystem, AdV) verkannt und es dazu benutzt hatte, die Menschen zu den Dingen anstatt die Dinge zu den Menschen zu befördern.” E.M. Forster (S. 17)

Auch wenn wir im Individualverkehr und ÖPNV nicht wirklich weniger mobil sind, lassen sich immer mehr Menschen Güter zu sich bringen, statt zu ihnen zu gehen/fahren.

E.M. Forster unterschätzte 1909 wohl die Lust am eigenen Automobil, das damals nicht allzu häufig auf Straßen anzutreffen war und nur privilegierten Menschen zugänglich war. Z.B. das Weiße Haus erstand 1909 sein erstes Automobil.
Insgesamt steigt der Personen- und Güterverkehr eher an, als dass er wie bei “Die Maschine steht still” allmählich zum Erliegen kommt.

„Vashti packte das Grauen des direkten Erlebens.“ E.M. Forster (S. 17)

Unsere Erfahrung der Welt geschieht mehr und mehr über Medien und immer seltener auf direktem, ungefiltertem Weg.

Natürlich kann man über Medien wesentlich mehr erfahren, als man dies unmittelbar könnte. Dennoch wird es gefiltert und wir erfahren womöglich zu viel zu schnell. Das kann uns überfordern und auch abstumpfen. Quantität ist etwas anderes als Qualität.

E.M. Forster überzeichnet 1909 diesen Zustand und lässt in “Die Maschine steht still” seine Protagonistin Vashti die Welt ausschließlich indirekt über Medien erfahren. Sie kennt die Welt nur noch aus der Bequemlichkeit ihres Sessels in ihrem kleinen sechseckigen Raum.
Als sie dann das erste Mal die Welt außerhalb ihres selbstgewählten Gefängnisses wahrnimmt, ist sie völlig überfordert.

Ein Zustand, den wir heute, 116 Jahre später, durchaus nachvollziehen können.

„Der Leviathan war ins Joch gespannt. Die vielen alten Schriften, die den Schrecken und die Schönheit der Natur gepriesen hatten, waren jetzt sinnloses Kindergeschwätz.“ E.M. Forster (S. 21)

Je mehr man sich von den Fakten und der unmittelbaren Naturerfahrung entfernt, umso mehr werden wir geprägt durch den Filter der Medien.
Es besteht dadurch die Gefahr, dass eine parallele Erzählung von der Natur den Platz der Realität einnimmt und allmählich der Konsens entsteht, die Realität sei die Erzählung.

Auch diese uns gegenwärtig beschäftigende Realitätsverfremdung spielte E.M. Forster bereits 1909 in “Die Maschine steht still” durch.

„Zweitens musste sie vom Lift aus zu Fuß weitergehen und sich den Blicken der anderen Passagiere aussetzen.“ E.M. Forster (S. 21.

Sich in den Blicken anderer zu sehen, ist im Grunde ein völlig natürliches Verhalten von Lebewesen mit visuellen Sinneseindrücken.
Sich allerdings ständig mit anderen optisch zu vergleichen, sich Kritik auszusetzen und andere aufgrund ihrer äußeren Erscheinung zu kritisieren sowie vermeintlichen Schönheitsidealen nachzueifern, ist weniger natürlich und führt zu Stress und Erkrankungen.

Wären wir allerdings in der Lage, uns anderen gegenüber nur noch so darzustellen, wie wir das gerne hätten, also über Avatare und Filter, könnten wir die Sichtweise anderer über uns (unser Äußeres) steuern.

Mit der Tendenz, anderen meistens über ein Kommunikationsmedium zu begegnen, steigt diese Form der Selbstdarstellung, was sich derzeit am stärksten bei Influencern erkennen lässt.
Je häufiger wir diese veränderte Sicht auf andere Menschen wahrnehmen und selbst die Wahrnehmung anderer nach unseren Wünschen verändern, wird das reale Äußere von uns und anderen aus unserer Erfahrung verdrängt.

E.M. Forster lässt 1909 die Protagonistin Vashti von “Die Maschine steht still” am eigenen Leib spüren, wie es sich anfühlt, die Sicherheit der Filter und Masken auf eigenen Beinen zu verlassen und welchen Einfluss das auf unsere Selbstwahrnehmung und unser Selbstbewusstsein hätte.

Weit davon entfernt scheinen wir heute gar nicht mehr zu sein.

Die Pandemie und einige Ursachen der Klimakatastrophe veranlassten die Menschen für einen kurzen Zeitraum, den Flugverkehr zu meiden: Flüge weltweit 46,8 Mio (2019), 22,2 Mio (2020); Passagierflüge weltweit 8.913,4 Mrd. Personenkilometer (2019), 3.100,1 Mrd. Personenkilometer (2020). Der Begriff der “Flugscham” spaltete kurzfristig die Menschen, doch von allzu langer Dauer war der Verzicht nicht, sodass der globale Flugverkehr wieder zur selbstverständlichen Mobilität dazugehört, der Luftverschmutzung und Vergeudung fossiler Energien zum Trotz: Passagierflüge weltweit 8.281,9 Mrd. Personenkilometer (2023), 15.333,2 Mrd. Personenkilometer (Prognose für 2033). Als E.M. Forster 1909 “Die Maschine steht still” publizierte, war der 1. Motorflug der Brüder Wright gerade mal 6 Jahre her und bis die erste internationale Flugstrecke (Paris – Brüssel) ihren Dienst aufnehmen sollte, sollte es noch 10 Jahre dauern. Deshalb implizierte seine Vorstellung von Luftverkehr die Nutzung von Luftschiffen wie der 1. gut funktionierende Zeppelin LZ3, der bis 1908 45 erfolgreiche Fahrten zurücklegte. Forster hielt es wohl für möglich, dass die Menschen der Zukunft dem Nutzen von Personenmobilität den Rücken kehren würden, sobald die Versorgung von Gütern und Information derart gesichert wäre, dass man sich selbst nicht mehr bewegen müsste. Vielleicht belächelte er auch die damals aufkeimende Luftschifffahrtseuphorie und sah sie schon zu baldigem Scheitern verurteilt. Mit den Luftschiffen lag er durchaus richtig, aber er rechnete offenbat nicht mit dem Aufstieg der Flugzeugtechnik. (Quelle: Statista)

Seitdem ein Großteil unserer Kommunikation digital abgewickelt wird, sinkt die Zahl der Gelegenheiten, zu denen wir uns persönlich begegnen und ganz nebenbei unmittelbaren (Körper-)Kontakt haben, sei es durch einen Händedruck, eine Umarmung, einen Kuss, ein Schulterklopfen oder das Reichen einer helfenden Hand. Die Pandemie führte uns gewaltsam vor Augen, was mit uns passiert, wenn wir den Körperkontakt nahezu vollständig einschränken müssen. Der plötzliche Verlust der Möglichkeit, sich berühren zu können, ließ so manche*n zum 1. Mal erkennen, wie sehr Mensch diese Selbstverständlichkeit zum Leben benötigt. E.M. Forster ließ 1909 sich eine zukünftige Gesellschaft nach und nach voneinander entfernen und entfremden. Exzessive Isolation durch technische Kommunikationsmedien führte in “Die Maschine steht still” dazu, dass keine*r mehr die Notwendigkeit persönlicher Begegnungen und Berührungen benötigte, ja sogar allmählich diese für unsittlich hielt. Ob uns die Pandemie eine Lehre war und wir wieder den physischen Kontakt mit anderen Menschen zu schätzen wissen, wird wohl die Zukunft erweisen.

“Versteht ihr denn nicht, versteht all ihr Redner denn nicht, dass wir es sind, die sterben, und dass allein die MASCHINE hier unten wahrhaftig lebt? Wir haben sie erschaffen, uns zu dienen, aber sie dient uns nicht mehr. Sie nimmt uns das Gefühl für den Raum und den Sinn für Berührungen, sie betäubt alle zwischenmenschlichen Beziehungen, reduziert Liebe auf einen fleischlichen Akt, lähmt unsere Körper und unseren Willen, und jetzt zwingt sie uns auch noch dazu, sie anzubeten! Die MASCHINE entwickelt sich weiter – aber nicht in unserem Sinn. Die MASCHINE macht Fortschritte – aber nicht zu unserem Nutzen. Wir sind die Blutkörperchen, die durch ihre Adern zirkulieren. Würde sie auch ohne uns funktionieren, sie ließe uns sterben.” E.M. Forster (S. 48f) Je mehr unserer Tätigkeiten wir der Technik übertragen, umso abhängiger werden wir von ihr. All die nützlichen Errungenschaften durch Hard- und Software unterstützen uns nur solange, wie uns bewusst ist, dass dies nur Werkzeuge für einen Zweck sind … und kein Selbstzweck. Mit der Übertragung an Technik verlernen wir allerdings immer mehr und mehr, da wir es nicht mehr brauchen und üben. Besonders bedeutsam wird dieser Vorgang, wenn es nicht mehr “nur” um handwerkliche Tätigkeiten geht, sondern um das Denken an sich. Diesen Übergang können wir gerade bei der gegenwärtigen KI-Morgendämmerung am eigenen Leib erfahren. Dystopische Visionen gibt es zuhauf und trotzdem tendiert das globale Wirtschaftssystem dazu, sich mehr und mehr in diese Abhängigkeit zu begeben. Umso erschreckender ist es, dass E.M. Forster lange vor den ersten Computern und den Möglichkeiten von KI vor den Gefahren einer Abhängigkeit von physischen oder virtuellen Maschinen gewarnt hat.

“‘Hütet euch vor Ideen aus erster Hand!’, proklamierte einer ihrer fortschrittlichsten Vertreter. ‘Es gibt im Grunde keine Ideen aus erster Hand. Es handelt sich um bloße Reaktionen des Körpers auf Liebe und Angst, und wer könnte auf einem so rohen Fundament schon eine Weltanschauung errichten? Bezieht eure Ideen aus zweiter Hand, wenn möglich aus zehnter Hand, erst dann ist das verstörende Moment des direkten Erlebens ausreichend abgeschwächt.'” E.M. Forster (S. 58) Dieser ironisch zu verstehende Aufruf derjenigen, die sich vollständig von filternden und verfälschenden Medien abhängig gemacht haben, macht deutlich, wie absurd es ist, wenn wir uns immer mehr von der unmittelbaren Realitätserfahrung entfernen und unsere Menschwerdung aus den Medien erschaffen. Die Message von E.M. Forster aus dem Jahr 1909 ist ganz klar: Geht raus! Macht euch euer eigenes Bild von der Welt! Lebt!

“‘Die MASCHINE’, riefen sie, ‘ernährt uns, kleidet uns und bietet uns Obdach. Durch sie sprechen wir einander, durch sie sehen wir einander, in ihr gründet unser Sein.'” E.M. Forster (S. 61) Werkzeuge zu nutzen, ist eine der ältesten Fähigkeiten des Menschen (bzw. auch mancher anderen Tiere). Doch schnell mündet der selbstverständliche Gebrauch in eine Abhängigkeit, die im Krisenfall schnell zur existentiellen Notlage führen kann. Man muss gar nicht nur an Hightech wie das Smartphone oder Internet denken, dessen Verlust die meisten von uns wohl tatsächlich in eine Existenzkrise stürzen würde. Die alltägliche Versorgung und Aufrechthaltung eines zivilisierten Lebensstandards durch Kühlschrank, Herd, Waschmaschine, Steckdose, Wasserhahn, WC, Supermarkt oder Heizung macht schnell deutlich, auf welche wie selbstverständlich funktionierende Systeme, wir unser Dasein stützen. Je mehr wir aus der Hand geben, umso verletzlicher werden wir, was uns in guten Zeiten leider kaum interessiert 🤷‍♂️ Wir erinnern uns schon fast nicht mehr an unsere Abhängigkeit von russischem Gas 🤦‍♂️ Der nächste Akt wird unsere Verletzlichkeit durch IT-Konzerne aus den USA und China sein, wenn wir Künstliche Intelligenz überall in unser Leben lassen, wie es derzeit wohl nur Elektrizität vermag. Mal sehen, wie wir uns dabei wenigstens ein bisschen Autonomie bewahren können.

Technik, die eine sehr lange Wirkung auf die Nachwelt hat (z.B. Atomkraft), hat auch eine sehr große Verantwortung. Geschichtsvergessenheit und Bequemlichkeit bedecken und tilgen allerdings Gefahren und Bedenken im Laufe der Zeit. Statt sich in aller Sorgfalt mit Konsequenzen auseinanderzusetzen und Für und Wider miteinander abzuwägen, ist Technik dazu prädestiniert, sofort genutzt zu werden und dazu, dass sich die Menschen auf den Nutzen konzentrieren, ohne sich allzu viele Gedanken über die Verlierer*innen zu und potentiellen Schäden zu machen. Würde die Disziplin der Technikfolgenabschätzung häufiger Gehör finden, um abwendbare Gefahren und Kosten einzukalkulieren, statt sie von Politik und Wirtschaft als übertriebene Bedenken abzutun, und sich willfährig den Heilsversprechen von Mega-Konzernen zu unterwerfen, könnte so manche teuer bezahlt werdende Konsequenz verhindert werden. Gerade verstolpern wir uns mit KI erneut in eine zu schnell verbreitete Technologie, ohne sich die Zeit zu nehmen, sie besonnen zu bewerten. Ein scheinbar zutiefst menschliches Verhalten, dass bereits E.M. Forster 1909 bekannt war 🤷‍♂️

“Zuerst beschwerte man sich hartnäckig, dann nahm man es hin, und schließlich war es vergessen. Alles verkam, und niemand nahm Anstoß.” E.M. Forster (S. 68) Missstände anzuprangern ist ein elementares Bedürfnis des Menschen und wird, zumindest in demokratischen Gesellschaften, toleriert oder gar gesetzlich unterstützt. Vor den Klimastreiks der Fridays for Futures-Bewegung konnte, zumindest in Deutschland, eine gewisse Demonstrationsmüdigkeit wahrgenommen werden und man begnügte sich oft und gerne mit dem Unterzeichnen von Online-Petitionen oder kleinen Demos einzelner Gruppierungen. Mit bevölkerungsübergreifenden und groß angelegten Märschen und Streiks schien nun ein gewisses Erwachen der Protestkultur erkennbar zu werden. Auch das Erstarken rechter Parteien und Bewegungen trieb und treibt noch heute Hunderttausende auf die Straßen, um klarzustellen, dass man keine Wiederholung der Geschichte Nazideutschlands hinnehmen will. Demonstrationen gegen Technik sind dagegen eher selten. Sollten aber die Beschränkungen demokratischer Werte durch z.B. KI mehr und mehr spürbar werden, kann man nur hoffen, dass auch dafür bzw. dagegen dauerhaft auf die Straßen gegangen wird.

“Noch Tausende Meilen entfernt applaudierten die Zuhörer. Nach wie vor waren sie durch die MASCHINE miteinander verbunden. Am Meeresboden und an den Gründen der Gebirge entlang verliefen die Kabel, durch die sie einander hörten und sahen, die gewaltigen Augen und Ohren, die ihr Erbe waren, und das Summen der Systeme hüllte ihr Denken in ein Gewand der Ergebenheit.” E.M. Forster (S. 70).

Die virtuelle Verbindung unserer Zeit mit Accounts realer und nicht realer Menschen ist so alltäglich geworden, dass die Anwesenheit anderer uns permanent und ganz real begleitet. Selbst wenn wir nicht online sind (was nur schwer zu realisieren ist), nehmen wir die Realität so wahr, als ob wir diese mit anderen teilen. Wir halten Ausschau nach Foto- und Video-Motiven, die wir potentiell mit unserem Netzwerk teilen könnten. Wir bewerten die Wirklichkeit mit den Augen der anderen und erleben die Welt nicht mehr um ihrer selbst Willen. Die Technik steht nicht nur zwischen uns und der Realität, sie verändert unsere Wahrnehmung von ihr und bestimmt unser Denken. Und das geschieht selbst dann noch, wenn wir uns abschotten und einen digital detox praktizieren.
E.M. Forster ahnte bereits 1909 diese Abhängigkeit.

@christian.uhle.philosophie , der in “Künstliche Intelligenz und echtes Leben” für mich den Anstoß gab, “Die Maschine steht still” von E.M. Forster zu lesen, hat das wunderbar auf den Punkt gebracht.

Die permanente Nutzung des Smartphones, das hektische Tippen und der ständige Blick aufs Display lassen uns in einem ununterbrochenen Zustand der Daueraufmerksamkeit leben. Es ähnelt einem virtuellen Vibrieren, das uns überall hin begleitet. Werden wir dann doch einmal vom Datenstrom getrennt, ist die Stille fast unerträglich.