Das Arbeitszimmer … war nie wirklich weg
von noosphaere · Veröffentlicht · Aktualisiert
Das Arbeitszimmer kehrt zurück?
Tillmann Prüfer, Mitglied der Chefredaktion des ZEITmagazins resümiert in No. 41/2020 feinsinnig über die Wiederkehr des Arbeitszimmers als Kollateraleffekt der Homeoffice-Offensive während der Coronakrise.
Ein schöner Text, wie ich finde, aber ich musste während der Lektüre erschrocken feststellen … mein „Arbeitszimmer“ war nie wirklich weg gewesen!
Gut, mit Goethes und Schillers Arbeitszimmer hatte meine Tätigkeitshöhle noch nie wirklich etwas gemein … wobei ich mir auch nicht sicher bin, ob die beiden (und auch andere) Geistesgrößen es immer so ordentlich bei sich hatten, wie es nun in einer leicht steril anmutenden Museumsatmosphäre zu besichtigen ist. Wahrscheinlich ließen sie auch kurz vor erwartetem Besuch schnell mal durchfeudeln und verräumten unsortierbare Gegenstände in dunklen, an die futuristische Hose von Micky Maus’ Freund Gamma (dieser Verweis musste mal raus) erinnernde, Kommoden und Schränken. Bei dieser Gelegenheit stellt sich mir die Frage, ob all jene, deren Privaträume nun der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, diesem Umstand zu Lebzeiten zugestimmt hätten? Möchte man wirklich, dass jede*r sehen kann, wie es in den eigenen vier Wänden ausgesehen hat? Oder wird lediglich gezeigt, wie es hätte aussehen sollen? Aber das sind andere Fragen und die genialen Vordenker von einst können sich sowieso nicht mehr wehren.
Zurück zum Arbeitszimmer. Es fängt schon damit an, diesen Raum als „Arbeits“-Zimmer zu benennen. Ich tue mich sehr schwer damit, Schreibtischtätigkeiten als „Arbeit“ zu bezeichnen. Arbeit war und ist für mich eigentlich eine körperliche Tätigkeit, bei der man dreckig wird und schwitzt: Grubenarbeit unter Tage, Arbeiten am Bau, Arbeit auf dem Feld oder Wald, die Müllabfuhr, Altenpflege u.v.m. Gut, es ist nicht ausgeschlossen, dass das (schwitzen und dreckig werden) einem auch am Schreibtisch passieren kann … aber es ist doch eher untypisch, finde ich. Es sei denn man gerät wegen einer Fristabgabe in Panik und verschütten seinen Kaffee übers T-Shirt. Ich nenne deshalb hier das Arbeitszimmer in Ermangelung eines praktischeren Begriffs also lieber Schreib-/Lese-/Kommunikationszimmer („SLK- Zimmer“), wobei mit Schreiben zeitgemäßerweise auch das Tippen gemeint ist.
Der Beitrag von Tillmann Prüfer suggeriert, dass das SLK-Zimmer seit der Einführung von (schrecklich-abstoßenden) Großraumbüros ausgedient hätte. Sicher, aus Arbeitgebersicht dient(e) das Zusammenpferchen und Unter-Kontrolle-Behalten der Arbeiter*innen-Ameisen selbstredend der Effizienz- und Profitsteigerung und trug damit maßgeblich zur Konvertierung der Industrie- in eine Dienstleistungsgesellschaft bei. Doch derlei Arbeitsbedingungen hatten noch nie etwas mit den Tätigkeiten des ursprünglichen Arbeitszimmers des 18./19. Jahrhunderts gemein. Dort, so stelle ich es mir zumindest vor, wurde lange in Ruhe nachgedacht, ausformuliert, kultiviert kommuniziert und niedergeschrieben resp. diktiert. Nichts davon ist in einem Großraumbüro möglich. Also wage ich die steile These, dass derlei Räumlichkeiten nicht die Nachfolger der Arbeitszimmer, sondern vielmehr die der Fabrikhallen aus Zeiten der Industrialisierung sind.
Was geschah aber mit den einstigen Arbeitszimmern? Nun, sie wurden seltener. So selten, dass wohl der Eindruck entstand, sie wären verschwunden, evolutionsbedingt ausgestorben. Und wie es beim Aussterben üblich ist, hatte dieser Prozess etwas mit äußeren Faktoren und unzureichenden Anpassungskapazitäten zu tun. Aber auch mit einer von der Wirtschaft unterstützten und geförderten Veränderung der Arbeitskultur, die besagte, man habe es nicht mehr nötig, im privaten Wohnraum ein Arbeitszimmer zu unterhalten. Ja, es sei sogar gesundheitsschädlich und störe die Work-Life-Balance … ein Begriff, den ich als zutiefst suspekt empfinde und hier nicht weiter erwähnen möchte. Die Folge war eine fast vollständige Verbannung („Ausrottung“) des SLK-Zimmers im Sinne eines neuen, dem Feng-Shui-gedenkenden Lifestyles.
Ich persönlich hatte es allerdings noch nie verstanden, wie eine solche Externalisierung von täglichen Schreib-/Lese-/Kommunikationserfordernissen überhaupt möglich sei. Nachdem ich bemerkte, dass sowohl das berufliche wie auch das private Umfeld die Nase rümpfte, sobald zur Sprache kam, dass ein nicht unerheblicher Teil des Arbeitens bei mir in privaten Räumlichkeiten stattfand, vermied ich prompt derlei Gesprächsthemen und entschied, dass ich wohl unmodern und unzeitgemäß sei. Was soll’s. Die räumliche Trennung von Beruflichem und Privatem (mit all der Pendelei, dem kategorischen Ablehnen, Berufliches zuhause zu erledigen und all dem damit verbundenen Reorganisieren des Alltags) war zum ultimativen gesellschaftliche Konsens geworden … scheinbar allerdings ohne mich.
Mein SLK-Zimmer bzw. -Zimmer-Areal ertrug die Missachtung mit Würde und konnte im Verborgenen weiterhin seinen Dienst tun. Es veränderte sich natürlicherweise mit den wechselnden erforderlichen Tätigkeiten und Ansprüchen. Schon früh wurde die Schreibfläche durch Computer, Tastatur und Maus ergänzt. Diverse Drucker eroberten sich nach und nach ihren Platz, wobei der monochrome Matrixdrucker, der aufgrund seiner doch extremen Geräuschentwicklung alsbald vom monochromen Tintenstrahldrucker ersetzt wurde.
Aber da geschah noch wesentlich mehr … und ich bitte es zu entschuldigen, wenn die folgende Beschreibung kurz etwas nerdy wird.
Während der Monitor vom monochromen (grün, die Bernsteinphase übersprang ich) Röhren-Monster schon recht frühzeitig zum nicht minder rote Backen und Kopfschmerzen verursachenden farbigen Röhren-Monster mutierte, setzte glücklicherweise mit den ersten TFT-Monitoren eine sowohl platzsparende wie auch gesundheitsfördernde Entwicklung ein, die nach Prüfung des Bankkontostandes alsbald umgesetzt wurde. Die Tendenz zur realitätsaffineren Mehrfarbigkeit machte selbstredend nicht vor dem Drucker halt und für kurze Zeit zog ein kostenintensiver Farbtintenstrahldrucker in das SLK-Zimmer ein. Zwar etwas größer als sein einfarbiger Bruder (oder Schwester?) schien er sein Geld und vor allem das Geld der ständig austrocknenden Farbpatronen wert zu sein. Doch nachdem ich zunehmend vermied, farbig auszudrucken, um den Geldbeutel zu schonen, musste ich mir eingestehen, dass der Verzicht auf bunte Texte und Grafiken, eine durchaus erträgliche Alternative darstellte. Zumal diverse Farbdrucker skandalöserweise ihren Dienst (bis heute) verweigerten, selbst rein schwarze Ausdrucke zu erstellen, sobald eine der Farbpatronen leer oder ausgetrocknet war. Die Folge war, dass neben dem Farbdrucker der gute, alte S/W-Tintenstrahldrucker wieder Einzug hielt, was den Platzbedarf bedauerlicherweise kurzfristig erhöhte. Kurzfristig deshalb, weil diese Phase schnell wieder vorüberging und der Farbdrucker schon bald seinen letzten Gang zu ebay antrat.
Entgegen eines weiteren arbeitskulturellen Konsens, dem Papierlosen Büro, stieg die holzverbrauchende Produktion meiner S/W-Drucke leider stetig an und als es erschwinglich wurde, ersetzte ein Monochrom-Laserdrucker die treuen Dienste seines Tintenstrahlvorgängers. Den Risiken cancerogener Tonerpartikeln gewahr und auch der einer erhöhten Staubproduktion durch mechanische und thermische Eigenarten dieser neuen Druckergeneration, stellte sich ein adäquates Lüftungsverhalten des SLK-Zimmers auf ganz natürliche Weise ein und das frischluftzuführende Fenster wurde zu einem wichtigen Teil meiner SLK-Tätigkeiten.
Auch wenn es vielen als überflüssig erschien, hatte ich schon recht früh das Bedürfnis, Vorlagen aus der materiellen in die digitale Welt zu transformieren und damit zu archivieren und so war bereits kurz nach dem ersten Drucker auf dem Schreibtisch auch ein Scanner mein ständiger Begleiter. Der Versuch, dem fast schon manischen Drang nachzugeben und ständig mobil scannen zu wollen, scheiterte sehr früh an der schwächelnden Auflösung von Handscannern und der erforderlichen ruhigen Hand sowie nervtötenden Scangeschwindigkeit. Der Traum vom “heimlichen” Scannen mir relevant erscheinender Texte in Bibliothekslesesälen platzte deshalb alsbald. Nach vielen Jahren, in denen ich es bereits aufgegeben hatte, gleichgültig, wo ich gerade war, Texte einzuscannen, vermochten es glücklicherweise hochwertige Smartphone-Kameras und entsprechende Apps, diese manische Lücke zu füllen und mich wieder ein Stück glücklicher zu machen.
Mein SLK-Bereich wuchs schon recht früh um einen zweiten Monitor an. Ich kann es bis heute nicht verstehen, wie man ohne einen zweiten (oder dritten) Monitor vernünftig und stressfrei schreiben und lesen kann. Wahrscheinlich liegt das an einem genetischen Defekt meinerseits, Applikationen und Dokumente räumlich anordnen zu wollen, um cerebrale Verknotungen zu vermeiden. Diese unzähligen sich überlappenden Anwendungen und Dokumente machen mich in ihrer Nicht-Sichtbarkeit hibbelig und fördern den Schreibtischstress ungemein.
Auf ganz natürlich Weise ergänzte, sobald es für mich erschwinglich wurde, ein Notebook die SLK-Familie. Die Angewohnheit, ständig an verschiedenen Orten SLK-Tätigkeiten nachgehen zu wollen, machte es für mich erforderlich, Dateien zentral abzuspeichern. Zu meinem Glück ließ mich der Trend der Cloud-Branche nicht im Stich und so blieb mir die zeit- und nervenintensive Installation eigener Netzwerk-Festplatten erspart. Neben der überaus hilfreichen Tatsache, damit überall auf aktuelle Dateien zugreifen zu können, verschaffte mir das Nebenprodukt, bei einem seltenen aber nicht unmöglichen Festplattencrash, auf ein Backup zurückgreifen zu können, einen wesentlich tieferen und gesünderen Schlaf. Noch wohler fühlte ich mich dann, als ich einen Anbieter fand, dessen Serverarchitektur deutschen Datenschutzansprüchen genügte und ich nicht darüber nachdenken musste, dass meine völlig belanglosen Daten ausländische Serverparks behelligten und sich deren Auswertungsalgorithmen vor Langeweile abschalteten.
Diversen aus selbstständigen Tätigkeiten resultierenden Tochter-SLK-Plätzen, verdoppelten sich temporär Raumbedarf und Gerätepark. Zu diesem gehörte inzwischen auch die Option, den Schreibtisch in einen Stehtisch zu transformieren, so dass der jahrzehntelang strapazierte Rücken seinen verdienten Ausgleich erhielt. Hinzu kamen noch passende Sitzmöbel, die mal dynamischer, mal bequemer das Stehen/Sitzen inzwischen abwechslungsreicher machen.
+++ Gerätegeschwafel-Einschub-Ende +++
Und dann … ab März 2020 … Corona. Plötzlich wurde der heimische Arbeitsplatz resp. das Homeoffice zum ultimativen Garant der Aufrechthaltung einer EDV-basierten Dienstleistungsgesellschaft. Man wurde sich plötzlich und schlagartig der beruflichen Unterschiede gewahr, welche Dienstleistung einer Schreibtischtätigkeit entsprach und welche es erforderlich machte, an einem anderen, nicht privaten Ort seinem/ihrem Beruf nachgehen zu müssen.
Die Diskussion über Großraumbüros als ultimativem Arbeitsplatz der Zukunft verstummte prompt. Nichts erschien plötzlich abwegiger, als Menschen in einen einzigen Raum zu pferchen, um sie dort einer gemeinsam genutzten Luft- und Geräuschatmosphäre auszusetzen. Umsätze für (neue) Arbeitszimmer-Ausstattungen schnellten global in die Höhe und Lieferengpässe (vor allem bei Headsets und Webcams) verzögerten einen unmittelbaren Umstieg. Die nahezu einer Erleuchtung gleichkommende Erkenntnis sickerte allmählich durch: Es war in sehr vielen Fällen völlig unnötig, ins Büro zu fahren/gehen. Sinnfreies Pendeln über unzählige Kilometer mit all den unschönen Kollateralschäden wie frühem Aufstehen, alleine gelassenen Haustieren, Verkehrsstaus, verpassten Bussen, Straßenbahnen und Zügen sowie den damit verbundenen wie selbstverständlich auf den/die Arbeitnehmer*in abgewälzten Unkosten, waren plötzlich und erzwungenermaßen obsolet.
Natürlich war klar, dass aus dieser Notsituation heraus nicht zwangsläufig ein neuer Arbeitsstandard entstehen müsste, aber das, was vor Corona noch als undenkbar oder völlig unpraktisch abgewatscht worden war, rettete in vielen Branchen nun die Wirtschaft: Das Arbeitszimmer.
Und wenn es nun für manche wie eine Art Wiederkehr des Arbeitszimmers aussehen mag, so erlaube ich mir, lediglich müde Augenbrauen und Schultern anzuheben. Für mich persönlich war das Zimmer, in dem ich sowohl für berufliche wie auch private Zwecke schreiben, lesen und kommunizieren kann, nie wirklich weg.