Bibliographieren online – Library 2.0
Das Anlegen gut sortierter Literaturdatenbanken ist ein aufwändiges Geschäft, das beizeiten mehr Zeit verschlingt als das Lesen der Literatur selbst. Seit Beginn der Personal-Computer-Ära haben Studierende und Wissenschaftler ihre eigenen kleinen, aber feinen Literatursammlungen ihren C64ern, Schneider CPCs, Sinclairs und Ataris mit Datenbanksystemen wie dBase einverleibt. Doch neue Hardware brachte neue Software mit sich bzw. neue Software bedingte die Anschaffung neuer Hardware und so wurden mehr oder minder aufwändige Datenexporte notwendig, die mühsam programmierte Makros nutzlos haben werden lassen.
Nachdem man bei solchen Wechseln Daten oder Funktionen verloren hatte, stellte sich oft die Frage, ob man weiterhin diesen wohl nie endenden Aufwand betreiben und sich software- und programmiertechnisch immer auf dem neuesten Stand halten möchte und damit Zeit und Energie aus anderen Bereichen umleiten müsste oder ob man abwartet und beobachtet, auf welchen ‘Technologiezug’ man aufspringen könnte, der einem die gewünschten Funktionen und gleichzeitig eine nachhaltige Arbeitsersparnis ermöglicht.
Nun hat das Warten ein Ende!
Dank der Bemühungen innerhalb kollaborativer Plattformen und der damit einhergehenden Wiki-Communities und dem inzwischen auch von allen großen IuK-Unternehmen aufgeschnappten web 2.0-Technologien ist es endlich wieder an der Zeit, die wissenschaftlichen Bibliographien in den Fokus zu nehmen. Und dabei kann dank OpenSource auf kostenpflichtige Tools verzichtet werden.
Wir haben alle notwendigen Voraussetzungen für eine gut funktionierende, global vernetzte Literaturdatenbank, die sich mit privaten Notizen und Dateien/ Medien aller Art verknüpfen lassen.
Noch gibt es unterschiedliche Ansätze, die einerseits einen reinen Offline-Arbeitsplatz unterstützen oder andererseits eine rein online zugängliche Plattform präferieren. Es werden aber allmählich Standards deutlich und Schnittstellen zwischen den vorhandenen Lösungen geschaffen, so dass jetzt der Zeitpunkt für einen Einstieg in die Materie gekommen ist. Nicht nur der reine Eigennutz sollte hier eine Motivation darstellen, sondern ebenfalls die Beteiligung aller wissenschaftlichen Disziplinen, damit das breite Spektrum aller Literaturnutzungsszenarien abgebildet werden kann. Nichts wäre schädlicher als die Dominanz einer Scientific Community und deren etabliertes Bibliographie-System. Auch wäre es natürlich wenig sinnvoll, den Freizeit-Aktivisten das Feld zu überlassen, deren Bedürfnisse in den wenigsten Fällen den Ansprüchen wissenschaftlichen Arbeitens genügt.
Was ist also zu tun? Social Community Building muss mit Literaturdatenbanken vernetzt werden, so dass sowohl die Energie der Nutzerinnen und Nutzer kanalisiert werden kann als auch die klar strukturierte Erfahrung der Bibliothekarinnen und Bibliothekaren integriert wird.
Eines der hier zutreffenden Buzzwords heißt Library 2.0. Hierunter verbergen sich Standards, Software und Plattformen, die sowohl unterschiedliche Ziele verfolgen als auch deutliche Überschneidungen aufweisen. Hier sollen nun kurz wenige Beispiele genannt werden, die für eine neue Ära des Bibliographierens vielversprechende Kandidaten darstellen:
Die von der ‘Knowledge and Data Engineering’-Group der Universität Kassel entwickelte Plattform avancierte in den vergangenen Wochen zu meinem persönlichen Favoriten. Da sich das Netz an vielen Ecken quantensprungartig weiterentwickelt, vermag ich nicht zu sagen, wie lange meine Überzeugung anhalten wird … doch ich bin bei BibSonomy äußerst zuversichtlich 🙂
Hier die Gründe für meine überzeugte Wahl:
- die zukunftsweisende Verwendung des BibTeX-Standards,
- die sehr gelungene und gerade neu gestaltete Darstellung der eigenen Publikationssammlung,
- die parallele Darstellung der eigenen Lesezeichensammlung,
- die ‘frische’ Öffnung einiger ‘Source Code’-Bestandteile per Lizenzierung unter GPL und LGPL,
- die Schnittstellen zu vielen Bibliotheken (worunter auch die Universitätsbibliothek Karlsruhe zählt),
- die Möglichkeit, private PDF- und PS-Dateien zu den jeweiligen bibliographischen Einträgen anzubringen (Upload-Limit: 50MB pro Datei),
- die Etablierung von Gruppen, zur gemeinsamen Nutzung von Bibliographien (inkl. der soeben erwähnten Dateien),
- die Darstellung der Beziehungen von ‘tags’ und damit der klärenden semantischen Einordnung von bibliographischen Einträgen,
- und nicht zuletzt der freundliche und schnelle Support der beteiligten Entwickler.
Eine hervorragende Plattform zum wissenschaftlichen Bibliographieren. Sowohl das BibTeX- als auch das RIS-Format werden unterstützt, die unabdingbare Faktoren für nachhaltig ausgerichtete Import- und Export-Aktivitäten darstellen. Öffentliche und private Kommentare ermöglichen individuelle Annotationen. Die Verknüpfung zu dezentral gespeicherten PDFs stellt eine wichtige Ergänzung der bibliographischen Daten dar. Die Einbindung der Social Community spielt hierbei eine nicht so herausragende Rolle, da die Pflege der eigenen Datensätze einem selbst überlassen bleibt.
Diese Plattform hat es sich zum Ziel gesetzt, die privaten Bibliotheken ihrer Nutzer zu digitalisieren und gemeinsam zur Kenntnis zu geben. Ein eher freizeitorientiertes Bibliographieren, das aber auch für die Vernetzung von wissenschaftlicher Literatur genutzt werden kann. Insbesondere das Tagging und das Integrieren bibliographischer Daten aus Online-Katalogen ist bei der Pflege des eigenen virtuellen Bücherregals sehr hilfreich. Das Bibliographieren von einzelnen Artikeln ist hierbei allerdings nicht vorgesehen und spart damit einen großen Teil der wissenschaftlichen Nutzbarmachung aus.
Der Anbieter Mendeley Ltd. hat gezielt die scientific communities im Fokus. Wissenschaftler aller Fachbereiche können hier ihre bibliographischen Daten und Papers sammeln sowie diese Kollegen zur Verfügung stellen. Der Großteil der Veröffentlichungen ist natürlich in englischer Sprache verfasst, kann aber insbesondere für Naturwissenschaftler ein wahres Füllhorn an aktuellen Informationen bieten. Da das Limit bei der Kostenlos-Version (Earth Free) auf 1 GB (500 MB eigener und 500 MB geteilter Speicherplatz), ist auch dieses kostenlose Angebot nur bis zu einer gewissen ‘Bücherregal’-Größe sinnvoll nutzbar.
Eigentlich eine für den privaten Arbeitsplatz entwickelte Software, die als Erweiterung des Firefox-Browsers genutzt werden muss. Zwar stellt diese Beschränkung eine Einengung der Entwicklung dar, doch ist Zotero ein sehr komfortables Offline-Bibliographie-Tool. Die Affinität zu Online-Plattformen wie CiteUlike und Librarything hat Zotero jüngst unter Beweis gestellt, da die bibliographischen Daten beider Plattformen auf einfachem Weg in Zotero integriert und den jeweiligen Datenfeldern (fast fehlerfrei) zugeordnet werden können.
Vor allem das Sammeln und Ordnen aller Medien des wissenschaftlichen Recherchierens und Bibliographierens sind hier integriert. Sowohl Offline-Dateien des eigenen Computers, wie auch URLs oder Schnappschüsse ganzer Webseiten stehen mit der individuellen Annotation in Verbindung.
Einen schnellen Einstieg erhält man über den englischen QuickStartGuide oder die deutsche Variante.
Die WebDAV-Schnittstelle ist inzwischen einwandfrei nutzbar, so dass man, einen entsprechenden
Speicherplatz vorausgesetzt, seine Zotero-Bibliothek zentral synchron halten kann. Einige Anbieter wie box.net bieten über WebDAV 1 GB freien Speicherplatz an. Das üppigste
Angebot derzeit (Oktober 2010) hat mydrive.ch: 2 GB kostenloser Speicherplatz. myDrive limitiert allerdings die Zahl der Dateien in einem Ordner auf 1000. Da diese Grenze schon bei einigen gespeicherten Webseiten bald erreicht ist, ist auch diese Option nicht uneingeschränkt nutzbar.
Erst beim Kauf von zusätzlichem Speicherplatz (z.B. bei myDrive Pro) wird diese Grenze auf 2000 erhöht … eine Zwischenlösung also.
Egal, für welche Lösung man sich entscheidet oder welche die nächsten Jahre überdauern wird, folgende Faktoren müssen berücksichtigt werden:
- Online- und Offline-Varianten müssen möglich sein;
- soziale Komponenten müssen integriert werden;
- Standards für Import- und Export müssen anwenderfreundlich realisiert sein;
- alle zum Recherchieren/ Bibliographieren genutzte Quellen und Medien müssen integrierbar sein;
- große Bibliotheken und Kataloge müssen über Schnittstellen angeschlossen sein.
Die Diskussion ist natürlich noch lange nicht zu einem allgemein zufriedenstellenden Ende gekommen, aber wer sich daran beteiligen möchte, hat z.B. bei brightbyte die Möglichkeit dazu.
Weitere Online-Varianten zum Bibliographieren sind:
Bibster
[Projekt geschlossen]Citeline[Projekt geschlossen]
- RefDB
Weitere z.T. kostenpflichtige Offline-Varianten zum Bibliographieren sind:
[zuerst veröffentlicht bei http://interretiatus.wordpress.com]